Holt euch einen Personalausweis ohne Funkchip!

Demnächst ist es soweit: Ab November gibt es den „Neuen Personalausweis“ inklusive RFID-Funkchip und biometrischen Daten. Wer jedoch bis spätestens 31.10 einen Personalausweis beantragt, erhält noch den alten, ohne Chip.

Im neuen Perso werden das biometrisch erfasste Gesichtsbild (Pflicht) und zwei Fingerabdrücke (freiwillig) gespeichert. Euer alter Ausweis behält bis zum Ablaufdatum seine Gültigkeit, d.h. wenn ihr spätestens im Oktober noch einen neuen (alten) Perso beantragt, schöpft ihr die maximale Laufzeit aus.

Die Verwendung eines Funkchips ist total unsinnig. Einerseits wird damit die Möglichkeit eröffnet den Chip aus der Ferne auszulesen, gleichzeitig soll durch abstruse Maßnahmen genau das wieder verhindert werden. Dann hätte man auch gleich einen sichereren kontaktbasierten Chip nehmen können. Die RFID-Industrie wirds freuen, ebenso die Politiker die von ihr bezahlt werden und uns den Kram eingebrockt haben. Dass überhaupt ein Chip notwendig ist, darf bezweifelt werden.

[Update: Bei Heise flattert gerade die Meldung rein, dass der CCC in Zusammenarbeit mit Plusminus Sicherheitsdefizite in den Lesegeräten entdeckt habe:

Wie es in der Vorabmeldung zur Fernsehsendung heißt, habe man Mängel festgestellt, die die Sicherheit des Ausweises untergraben. „In Zusammenarbeit mit dem Chaos Computerclub e.V. hat die Plusminus-Redaktion Testversionen der Basis-Lesegeräte geprüft. Für Betrüger ist es demnach problemlos möglich, sensible Daten abzufangen – inklusive der geheimen PIN-Nummer. Die Lesegeräte sind nötig, um den neuen Personalausweis am heimischen Computer zu nutzen und sich somit für die Abwicklung von Internet-Geschäften zu identifizieren.“

Die Sendung läuft heute Abend (24.08) um 21:50 Uhr in der ARD.

]

Auch die Freiwilligkeit der Fingerabdrücke sollte kritisch hinterfragt werden. Ich befürchte, dass viele Bürger nicht hinreichend aufgeklärt werden. Weigert euch auf jeden Fall, Fingerabdrücke abzugeben – ihr habt ein Recht darauf!

Aber wie gesagt: Wenn ihr jetzt noch einen Perso beantragt, bleibt euch der neue Ausweis mitsamt der biometrischen Erfassung erstmal erspart.

Infos zum neuen Personalausweis:

http://wiki.vorratsdatenspeicherung.deInf

SPD will Online-Durchsuchungen und Rasterfahndung in Rheinland-Pfalz

Die SPD in Rheinland-Pfalz, selbsternannte Netzpartei, richtet im Land weiter Schaden an. Während die Staatskanzlei beratungsresistent das Internet kaputt macht, wird gleichzeitig der Überwachungsstaat ausgebaut. Heute hat der Ministerrat die Novelle des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes beschlossen.

Netzpolitik.org hat das wesentliche bereits zusammengefasst:

Erlaubt werden sollen demnach heimliche Online-Durchsuchungen sowie die Überwachung von verschlüsselter Internet-Telefonie (Quellen-Telekommunikationsüberwachung). Beamte sollen zur Gefahrenabwehr außerdem Telefongespräche unterbrechen dürfen. Zur “Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person” sollen weiterhin Rasterfahndungen zugelassen werden. Öffentlichkeitsfahndungen sollen auch bei Gefahr für Dritte möglich sein und nicht mehr nur bei Gefahr für Personen, nach denen selbst gefahndet wird. Die bisher im POG enthaltene Ermächtigung zum automatisierten KFZ-Kennzeichenabgleich wird aufgehoben.

Was eine „Online-Durchsuchung“ eigentlich genau sein soll und wie sie technisch durchgeführt werden soll, ist meines Wissens immer noch nicht definiert. Zu dem Thema empfehle ich das Buch von Burkhard Schröder. Interessant ist, dass der Kennzeichenabgleich aufgehoben werden soll. Eine Begründung dafür konnte ich nicht entdecken. Soll mir recht sein, auch wenn es in Anbetracht der anderen Maßnahmen nicht beruhigt.

Vollerfassung

1983 war der Widerstand groß, als die komplette Republik bei der sogenannten Volkszählung zur Preisgabe sehr persönlicher Daten an den Staat gezwungen wurde. Die Protestbewegung mündete im berühmten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und begründete das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung.

Heute ist es vergleichsweise ruhig, und das obwohl nächstes Jahr die erste europaweite Volkszählung stattfindet und die Kritik von damals alles andere als überholt ist. Kaum jemand scheint über die Vollerfassung der Bürger informiert zu sein. Selbst ich habe dem Thema in der letzten Zeit viel weniger Beachtung geschenkt, als nötig wäre. Es ist also höchste Zeit, wenigestens mal darüber zu bloggen.

Die wesentlichen Infos sind zum Glück schon an anderer Stelle zusammengefasst, sodass ich nur darauf verweisen muss. Größter Kritikpunkt ist die massenhafte Zusammenführung und Zweckentfremdung von Daten. Die Datensammlungen der Meldeämter und der Argentur für Arbeit werden vereinigt und unter einer verfassungswidrigen Personenkennziffer gespeichert.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat eine lesenswerte FAQ online gestellt. Kritische Hintergrundinformationen bietet die Kampagnenseite des AK Vorrat. Auch die ausführliche Stellungnahme der Piratenpartei Trier ist einen Blick wert.

Es ist wichtig, dass wir an dem Thema dran bleiben! Im Gegensatz zu diversen Säuen die immer mal wieder gerne durchs Dorf getrieben werden, ist die Vollerfassung der Bevölkerung ein real existierendes Problem auf das wir gerade volle Kanne zusteuern. Informiert euch, bloggt, sprecht Bekannte darauf an, kommt zur Demo am 11.09.

http://www.bfdi.bund.de/cln_136/DE/Schwerpunkte/Volkszaehlung/Artikel/FAQ/_functions/FAQ_table.html

Auf ein Neues: Großdemo gegen Überwachung in Berlin!

Die weder geplante noch angekündigte Sommerpause dieses Blogs ist nun vorüber. Zwischenzeitlich habe ich die neueste WordPress Version installiert und dem Blog ein neues Design verpasst.

Zum Warmwerden eine schnelle Info zur nächsten großen Demo (über die ihr aber hoffentlich schon längst informiert seid): Es ist wieder soweit, auch dieses Jahr wird es eine Großdemo gegen den Überwachungswahn geben.

Die wichtigsten Daten in Kürze:

11.09.2010, 13 Uhr
Potsdamer Platz, Berlin
http://FreiheitStattAngst.de

Ja, die Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland abgeschafft, aber es geht um weit mehr. Es geht um den sich nach wie vor ausbreitenden Wahn einiger Personen, unsere über Jahrhunderte unter Einsatz zahlreicher Menschenleben erkämpften demokratischen Rechte für ein vermeintliches Gefühl der Sicherheit opfern zu können, ja sogar zu müssen. Das muss stoppen! Jetzt! Sofort!

Der Druck der Zivilbevölkerung muss weiter anhalten – nein, er muss noch verstärkt werden. Die Regierungsbeteiligung der FDP macht es nicht besser. Diese Partei koaliert tatsächlich mit einem der größten Feinde der Freiheit und nennt diese Haltung liberal. Sie lässt zu, dass persönlichste Daten europäischer Bürger in die USA wandern und bezeichnet dies als einen Zugewinn an Datenschutz. Die FDP darf sich gerne zu der anderen Verräterpartei gesellen – wie hieß die nochmal? – SPD.

Zurück zum Thema: Am 11. September gehen wir auf die Straße. Du, ich und viele viele andere. Den Wahnsinn der Überwachungsfanatiker wird das nicht umkehren. Aber es wird weitere Bürger aufrütteln, es wird die Bewegung zusammenschweißen und gemeinsam werden wir die feuchten Überwachungsfantasien und die, die sie träumen, dahin zurückdrängen wo sie hingehören: Ins politische Abseits, wo sie keinen Schaden anrichten, sondern bestenfalls als Parolen einiger Spinner verhallen.

Kurzes Review zur SIGINT 2010

Bin soeben von der SIGINT 2010 aus Köln heimgekehrt und ich muss sagen es war wieder richtig klasse. Jeder einzelne der drei Tage hat sich gelohnt und hat Spaß gemacht. Die Kombination aus gesellschaftspolitischen Themen und dem Bezug zu Technik und Vernetzung ist hervorragend gelungen und teilweise gab es sogar richtig philosophische Vorträge.

Ich denke das ist sehr wichtig, denn durch Aktivismus allein verliert man leicht den Blick auf das große Ganze. Rückblicke auf historische Gegebenheiten und philosophische Grundlagen helfen sowohl beim Urheberrecht, als auch bei Überwachung und Zensur, die eigentlichen Ziele im Auge zu behalten und nicht nur das nächste No-Go-Gesetz verhindern zu wollen. Man mag kritisieren, dass nicht viel Neues zur Sprache kam – doch die SIGINT bot eine Plattform inne zu halten, sich zu orientieren und zu konsolidieren.

An dieser Stelle daher noch einmal ein ganz großes Dankeschön an alle Organisatoren, Helfer, Vortragende und Besucher! Ich freue mich schon auf nächstes Jahr.

Copy.Right.Now!

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat kürzlich einen lesenswerten Reader zum Thema Urheberrecht herausgegeben. Der Band „Copy.Right.Now!“ enthält unter anderem Beiträge von Till Kreutzer, Lawrence Lessig, Cory Doctorow und Matthias Spielkamp. Der Reader ist im April erschienen und daher sehr aktuell. Die Beiträge befassen sich unter anderem mit ACTA, Google Books und Creative Commons, aber natürlich auch mit Grundsatzfragen des Urheberrechts im digitalen Zeitalter. Wissenschaftler, Politiker und Künstler kommen zu Wort.

Konsequenterweise steht das Werk unter eine Creative-Commons-Lizenz und lässt sich von den Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung frei herunterladen oder bestellen. Die rund 130 Seiten sind angenehm zu lesen – eine Empfehlung für jeden der sich mit dem Thema Urheberrecht beschäftigt!

Du bist nicht deine Website

Auf die Grundprinzipien von Linked Data bin ich bereits eingegangen. Auch einen kurzen Ausflug ins „Web of Data“ haben wir schon gewagt. Nun möchte ich die unterschiedlichen Arten von Ressourcen näher vorstellen. Das Datenweb ist mehr als ein Web aus Dokumenten. Wir können alle möglichen Dinge über URIs identifizieren und Daten über sie abrufbar machen.

Die W3C Technical Architecture Group unterscheidet zwischen Informations- und Nicht-Informationsressourcen. Im WWW ist diese Unterscheidung von untergeordneter Bedeutung, da es quasi nur Informationsressourcen gibt. Darunter fallen nämlich alle Arten von Dokumenten und das WWW ist nunmal ein Web aus Dokumenten. Im Datenweb kommen abstrakte und konkrete „Dinge“ hinzu, die ebenfalls über eine URI identifiziert werden wollen. Dabei handelt es sich dann um Nicht-Informationsressourcen. Denn die Ressourcen sind in diesem Fall keine Informationen, sondern z.B. Personen, Orte, Bücher, Produkte etc.

Die Unterscheidung zwischen Informations und Nicht-Informationsressourcen ist dabei weniger trivial, als auf den ersten Blick scheint. Ein oft gemachter Fehler ist es, die Beschreibung einer Ressource mit der Ressource selbst gleich zu setzen.

Wir wissen dass gemäß der Linked Data Grundprinzipien beim Abruf der ein Ding identizifierenden URI „nützliche Informationen“ bereitgestellt werden müssen. Dazu liefert z.B. ein Webserver ein RDF-Dokument aus. Ich möchte das kurz am Beispiel meiner eigenen FOAF-Datei demonstrieren. Ich (ja tatsächlich ich, nicht die Datei!) werde durch folgende URI im Datenweb identifiziert:

http://data.kontroversen.de/foaf.rdf#me

Beim Abruf mit einem Browser (Egal ob Web- oder Datenbrowser) wird folgende Datei ausgeliefert:

http://data.kontroversen.de/foaf.rdf

Diese Datei ist ein RDF-Dokument, welches Informationen über mich (d.h. die Ressource http://data.kontroversen.de/foaf.rdf#me) enthält. Die Datei und ich sind jedoch zwei völlig unterschiedliche Dinge (Weshalb ich im übrigen auch eine andere URI als die Datei habe). Die Datei ist eine Informationressource identifiziert durch die URI http://data.kontroversen.de/foaf.rdf. Ich bin eine Nicht-Informationsressource identifziert durch http://data.kontroversen.de/foaf.rdf#me.

Einmal verstanden erscheint dies selbstverständlich, führt jedoch anfangs oft zu Verwirrungen und paradoxen RDF-Dokumenten. So hat zum Beispiel die New York Times (erfreulicherweise!) beachtliche Datenbestände als Linked Data verfügbar gemacht. Anfangs wurden dabei jedoch typische Fehler gemacht, die aus der Verwechslung von Informations- und Nicht-Informationsressourcen herrühren.

Die URI http://data.nytimes.com/N31738445835662083893 identifiziert den Schauspieler Paul Newman. Über diese Person finden sich in dem Datensatz leider kaum Informationen, nützlich ist hauptsächlich der Verweis auf die DBpedia. Das ist jedoch nicht wirklich schlimm. Problematisch war eine Zeit lang (mittlerweile wurde es zum Glück korrigiert) die Vermischung von Daten und Metadaten: Was zum Beispiel sagt das Prädikat „dc:creator“ in Bezug auf eine Person aus? Heitere Zeigenossen möchten dort vielleicht die Eltern der Person eintragen, oder Gott, wenn sie gläubig sind. Ganz sicher ist jedoch nicht „The New York Times Company“ der „Ersteller“ von Paul Newman.

Die New York Times hatte die Nicht-Informationsressource „Paul Newman“ mit der Informationsressource verwechselt die ihn beschreibt. Was sie eigentlich ausdrücken wollten ist, dass „The New York Times Company“ der Ersteller des RDF-Dokumentes ist. Das RDF-Dokument ist jedoch eine eigene Ressource und bekommt eine eigene URI.

Die New York Times wurde zwischenzeitlich auf den Fehler hingewiesen und hat ihn korrigiert. Die Informationsressource wird nun über http://data.nytimes.com/N31738445835662083893.rdf identifiziert und „dc:creator“ bezieht sich auf diese Ressource und nicht mehr auf Paul Newman selbst.

Ich hoffe ich konnte die Unterscheidung zwischen Informations- und Nicht-Informationsressource einigermaßen verständlich darlegen. Mir hat dabei der Merkspruch „You are not your Website“ sehr geholfen. Denn im „Web of Data“ gibt es nicht nur deine Website, sondern auch dich selbst. Und das sind natürlich zwei völlig unterschiedliche Dinge.

Überwachungsdruck am lebenden Subjekt erprobt

Videoüberwachung/video surveillance Mathildenh...
Image by springfeld via Flickr

Ein von Datenschützern und Bürgerrechtlern oft angeführtes Argument gegen Überwachungsmaßnahmen ist der durch diese entstehende Beobachtungs- oder Überwachungsdruck. Menschen die unter Beobachtung stehen oder auch nur glauben, dass sie überwacht werden, passen ihr Verhalten an. Das kann soweit gehen, dass sie von ihren Grundrechten nicht oder nicht in vollem Maße Gebrauch machen. Der Überwachungsdruck hemmt die freie Entfaltung der Persönlichkeit, aus Angst vor den Folgen non-konformen Verhaltens.

Dieses theoretische Konstrukt konnte auf der diesjährigen CeBit live erprobt werden. Am Stand eines Herstellers von Videoüberwachungsanlagen entstand spontan das im Folgenden beschriebene Experiment. Der Hersteller hatte eine moderne Überwachungskamera zu Demonstrationszwecken aufgebaut. Die Kamera war an einer Ecke des Standes, leicht über Kopfhöhe aufgebaut. Auf Augenhöhe befand sich unter der Kamera ein Bildschirm der das von ihr erfasste Bild anzeigte. Gegenüber an der anderen Ecke des Standes befand sich das Steuerungspult für diese Kamera, ebenfalls mit Bildschirm. Die Kamera konnte damit um 360° gedreht, sowie nach oben und unten gekippt werden. Beachtlich war auch das Zoomvermögen des Geräts, mit dem man selbst Personen einige Gänge weiter noch sehr gut erfassen konnte.

Die Kamera wurde zunächst leicht nach unten gerichtet, sodass Personen die direkt vor der Kamera standen sich selbst im Bildschirm sahen. Die Personen am Steuerungspult (im Folgenden „Überwacher“ genannt) konnten von ihnen jedoch nicht wahrgenommen werden. Nach kurzer Zeit wurden die ersten Personen auf die Kamera und ihr Abbild im Monitor aufmerksam und verharrten vor der Kamera. Die Überwacher wählten dann eine dieser Personen aus (im Folgenden „Zielperson“ genannt). Im ersten Schritt wurde nun gezielt an die Zielperson heran gezoomt um deren Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dies führte in der Regel bereits zu einer ersten Verunsicherung der Zielperson. Im nächsten Schritt wurde die Kamera stets neu auf die Zielperson ausgerichtet, auch wenn diese sich nur leicht bewegte. Den Zielpersonen war nun deutlich eine innere Unruhe anzumerken, insbesondere wenn sie sich gerade mit anderen unterhielten. Dies führte in der Regel dazu, dass die Zielperson versuchte sich aus dem Sichtfeld der Kamera zu bewegen, was jedoch aufgrund der hohen Beweglichkeit des Kamerakopfes nicht ohne Weiteres gelingen konnte. Die Zielpersonen prüften nach einem Standortwechsel immer wieder die Ausrichtung der Kamera und mussten erschrocken feststellen, dass diese wieder auf sie gerichtet war. Eine Zielperson „floh“ daraufhin komplett aus der Reichweite des Standes und drehte sich während dessen mehrfach verunsichert um (Ein solches Verhalten wird bei echten Überwachungen oftmals als konspirativ und somit verdachtserhärtend betrachtet).

Interessant war auch das Verhalten der Überwacher, die regelrecht Gefallen an der Beobachtung der Zielpersonen und deren Verhalten fanden. Auch die Neugierde von anderen Besuchern wurde geweckt, die daraufhin die Kamera auch mal „ausprobieren“ wollten. Die Überwachung entfaltete geradezu eine Suchtwirkung.

Auch wenn dieses spontane Experiment wissenschaftlichen Ansprüchen sicher nicht gerecht wird, so brachte es doch einige Erkenntnisse zu Überwachten wie Überwachern zutage. Überwachungsdruck ist kein gedankliches Konstrukt, das lediglich in der Theorie existiert, sondern ein faktisches Phänomen, das in der Praxis auftritt und zu erheblichen Einschränkungen in der freien Entfaltung der Persönlichkeit führt. Die gravierenden Nachteile, die Überwachung mit sich bringt, müssen stets gegen die angeblichen Vorteile abgewogen werden.

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„Diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“

Die Vorratsdatenspeicherung war Ende 2007 der Anlass für mich, erstmals auf die Straße zu gehen. Durch sie kam ich mit Aktivisten des AK Vorrat und der Piratenpartei in Kontakt. Die Vorratsdatenspeicherung hat eine große Bürgerrechtsbewegung hervorgebracht und die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten provoziert.

Gestern wurde die Vorratsdatenspeicherung vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Alle Daten, die noch nicht an Ermittlungsbehörden weitergegeben wurden, müssen umgehend gelöscht werden. Der Provider 1&1 hat nach eigenen Angaben schon damit angefangen.

Eine Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten auf Vorrat gibt es damit in Deutschland nicht mehr. Viele Jahre haben wir dafür gekämpft. Dass das Gesetz komplett gekippt wird, habe ich zwar für möglich, aber nicht für sehr wahrscheinlich gehalten.

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, da sie geeignet ist „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann“, begründet das Verfassungsgericht. Die Umstände der Kommunikation seien ebenso schutzbedürftig wie deren Inhalt. Allerdings sei eine anlasslose Speicherung „nicht schlechthin“ mit dem Grundgesetz unvereinbar. Daher greifen die Richter die zugrunde liegende EU-Richtlinie nicht an und verweisen auch nicht an den europäischen Gerichtshof. Laut den Verfassungsrichtern sei eine verfassungskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie möglich.

Hohe Anforderungen

An die Ausgestaltung dieser Umsetzung stellen die Richter jedoch sehr hohe Anforderungen: Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren muss die Normenklarheit in Bezug auf Datensicherheit, Datenverwendung, Transparenz und Rechtsschutz gegeben sein. Datensicherheit betrifft dabei sowohl die Aufbewahrung als auch die Übermittlung und Löschung der Daten. Sicherheitsstandards müssen sich am aktuellen Stand der Technik orientieren, die Daten müssen asymmetrisch verschlüsselt werden, die Rechner vom Internet getrennt sein und ein 4-Augen-Prinzip sichergestellt werden. Der Zugriff auf und die Löschung der Daten müssen revisionssicher Protokolliert werden. Um die Transparenz zu wahren muss es zudem Informationspflichten bei Datenschutzverletzungen geben. Der Betroffene muss beim Abruf der Daten informiert werden, falls kein anders lautender richterlicher Beschluss vorliegt. Um einen sicheren Rechtsschutz zu gewährleisten hat der Zugriff zudem unter einem Richtervorbehalt zu stehen und den Betroffenen muss ein Rechtsschutzverfahren möglich sein. Verletzungen des Datenschutzes und der Datensicherheit müssen wirksam sanktioniert werden.

Eine neue Vorratsdatenspeicherung?

Da das derzeitige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung komplett für nichtig erklärt wurde, geht der Gesetzgebungsprozess nun komplett von neuem los, wenn die Regierung denn überhaupt noch eine Umsetzung wünscht. Die selbsternannte Bürgerrechtspartei FDP hätte nun Gelegenheit sich als solche zu beweisen und sich dafür einzusetzen, dass die EU-Richtlinie komplett zurück genommen wird. Wir sind in Europa nicht allein: Schweden weigert sich die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen, Österreich befindet sich immer noch im Gesetzgebungsprozess und hat sich deshalb schon ein Vertragsverletzungsverfahren eingehandelt, Rumänien hatte die Vorratsdatenspeicherung bereits letztes Jahr für verfassungswidrig erklärt.

Es ist jetzt an der Zeit, die Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene zu Fall zu bringen! Leider hat es die CDU immer noch nicht verstanden und behauptet dreist, die Speicherung sei nötig „um die Bürgerinnen und Bürger wirksam vor schweren und schwersten Straftaten schützen zu können“. Ich bin es langsam leid auf solche unsinnigen Behauptungen einzugehen… Muss ich auch nicht, steht ja alles hier.

Ich hoffe doch sehr, dass die CDU mit ihren Bestrebungen die Vorratsdatenspeicherung neu aufzusetzen alleine dasteht. Nicht alles was verfassungsrechtlich machbar ist muss auch umgesetzt werden. Zudem halte ich es für enorm schwierig die umfangreichen Rahmenbedingungen des Bundesverfassungsgerichts wirksam einzuhalten. Allein die Formulierung eines entsprechenden Gesetzes dürfte eine große Hürde darstellen. Die effektive Umsetzung der Datensicherheits- und Transparenzanforderungen in der Praxis halte ich für Utopie.

Die FDP und die Lobbyisten

Es bleibt zu hoffen, dass die FDP dem Druck der CDU standhält. Mehr Sorgen als der Einfluss der CDU, macht mir jedoch die Musikindustrie, die sich über eine Hintertür des Urteils gerade besonders freut: Für die Identifkation von Nutzern hinter einer IP-Adresse hat das Gericht nämlich deutlich geringere Hürden gesetzt. Begründet wird dies damit, dass bei einer Identifikation ja keine Vorratsdaten herausgegeben würden. Der Anbieter ermittle mittels der Vorratsdaten lediglich intern die zugehörigen Bestandsdaten. Herausgegeben würden nur Bestandsdaten, d.h. Name und Adresse des Kunden. Zudem sei für diese Anfragen weder ein Richterbeschluss nötig, noch beschränke sich der Zugriff auf schwere Straftaten. Die Abfrage von Bestandsdaten zu einer IP-Adresse sei auch bei gewichtigen Ordnungswidrigkeiten erlaubt. In der Urteilsbegründung wird sogar ausdrücklich die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen genannt.

Die FDP ist nicht gerade für eine liberale Urheberrechtspolitik bekannt. Ich bin gespannt ob sie der Verlockung widersteht eine Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen einzuführen. Ich fürchte spätestens bei diesem Stichwort wird die Partei einknicken. Vielleicht wird Frau Leutheusser-Schnarrenberger dann abermals so stark sein, von ihrem Amt zurückzutreten – nützen wird uns dies jedoch wenig.

Durchatmen und weiterkämpfen

Zunächst einmal haben wir uns jedoch Luft geschaffen. Die Vorratsdatenspeicherung ist vom Tisch und diejenigen sind im Zugzwang, die sie wieder einführen möchten. Ich habe es gestern genossen erstmals wieder vorratsdatenfrei zu kommunizieren (auch wenn das vermutlich ein Trugschluss war, da es sicher noch ein paar Tage dauern wird, bis alles abgeschaltet und gelöscht ist). Das Gesetz ist in Deutschland erstmal vom Tisch. Der AK Vorrat kündigt bereits an, nun auf europäischer Ebene weiter vorzugehen. Wir haben einen wichtigen Etappensieg errungen, den wir weiter ausbauen können. Zudem gibt es noch weitere wichtige Baustellen denen wir uns widmen müssen: Spontan fallen mir ELENA, JMStV und ACTA ein. Auch das Zugangserschwerungsgesetz ist nach der Unterschrift Köhlers wieder auf der politischen Tagesordnung. Es gibt also viel zu tun. Packen wirs an!

Weiterführende Links

Aktuelle Fassung des JMStV verfügbar

Die Staatskanzlei Mainz zeigt sich zwar aktuell sehr gesprächsbereit, weigert sich aber dennoch den aktuellen Entwurf des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) herauszugeben. Das sei erst Ende nächster Woche möglich.

Nichtsdestotrotz ist die Piratenpartei an den Entwurf vom 18. Februar gelangt und hat diesen veröffentlicht. Auch Carta bietet die ihnen vorliegende Fassung seit heute zum Download an. (Die Dateien sind unterschiedlich formatiert, es sollte sich jedoch inhaltlich um das gleiche Dokument handeln. Ich kam bisher noch nicht dazu das im Detail zu prüfen.)

Weiterhin hat der CCC Mainz nun die Komplettfassung des JMStV inklusive der geplanten Änderungen veröffentlicht, sowie PDF-Dokumente die mit farblicher Hervorhebung die Änderungen des alten und des jetzt vorliegenden Vertragsentwurfs verdeutlichen. Diese Arbeit hat sich freundlicherweise Patrick Georgi gemacht. Vielen Dank dafür, das erleichtert die Analyse der Änderungen ungemein!

Bei der heutigen Mahnwache auf dem Gutenbergplatz in Mainz war übrigens ordentlich was los. Die Piratenpartei Rheinland-Pfalz und Hessen, die Jungen Piraten sowie die Grüne Jugend waren vertreten. Zahlreiche Passanten zeigten sich interessiert und das Wetter war gut 🙂