Auf Vorrat

Der BKA-Chef Jörg Ziercke ist ja dafür bekannt, dass er nicht nur eine Speicherung all unserer Kommunikationsdaten auf Vorrat fordert, sondern diese Forderung, quasi ebenfalls auf Vorrat, auch noch ständig wiederholt. So auch neulich mal wieder.

Ihren Vorrat an Unglaubwürdigkeit stocken derweil die selbsternannten „SPD-Netzpolitiker“ (das Wort müssen die irgendwo aufgeschnappt haben) auf, die fleißig die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung vorbereiten.

In Zeiten wie diesen ist es angebracht, ein paar Petitionen auf Vorrat zu unterzeichnen und hier und da mal demonstrieren zu gehen.

 

Zensursula und die Terrorbefugnisse

Oje, es geht wieder heiß her in Sachen Überwachung und (Anti-)Terrorbefugnissen. Das Netzsperrengesetz aka „Zensursula“ soll nun gekippt werden. Quasi als „Dank“ dafür will die CDU/CSU aber unbedingt die Vorratsdatenspeicherung (VDS) vorantreiben und die Terrorgesetze verlängern.

Kleiner Rückblick: Als schwarz-gelb an die Regierung kam wurde über einen verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen „Nichtanwendungserlass“ das Sperrgesetz für ein Jahr ausgesetzt. Die Frist ist nun abgelaufen und das Gesetz würde somit in Kraft treten. Nach dem 11. September 2001 hat die damalige rot-grüne Regierung zahlreiche sogenannte „Anti-Terror-Befugnisse“ verabschiedet, wie Fluggastdaten- und Kontenabfrage, Mobilfunkortung und weitere Befugnisse für BKA und Geheimdienste (Mit ein Grund, warum die Grünen für mich unwählbar sind). Diese Grundrechtseinschränkungen wurden 2007 bereits einmal für fünf Jahre verlängert. 2012 würde nun auch diese Frist ablaufen und die Union schreit abermals nach einer Verlängerung.

Die Vorratsdatenspeicherung wurde letztes Jahr vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Schmerzlich für die CDU, die nicht Müde wird die „dringende Notwendigkeit“ einer Neuauflage zu betonen, ohne je einen Nachweis zu erbringen. Ich werde derweil nicht Müde zu betonen, dass für jegliche Grundrechtseingriffe der Nachweis der Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit und Geeignetheit erbracht werden muss.

Trotzdem pokert die Union jetzt: „Wenn wir schon das Sperrgesetz kippen, dann wollen wir wenigstens bei der Vorratsdatenspeicherung und den Anti-Terror-Gesetzen unsere Position durchsetzen“, heißt es sinngemäß. Das Grundgesetz darf jedoch keine Verhandlungsmasse sein! Keine faulen Kompromisse zu Lasten der Grundrechte! Der Fall des Sperrgesetzes ist ohnehin kein Verlust für die Union, die schließlich schon damals zugab, dass es ihr um Stimmungsmache im Wahlkampf ging. Mit der vermeintlichen Opferung des Sperrgesetzes versucht die Union nun echte Beute zu machen: VDS und Geheimdienstbefugnisse! Die Sperren gibts ggf. über den Umweg EU sogar noch oben drauf – hat ja bei der VDS damals auch funktioniert.

Dass die VDS nicht einmal bei der Aufklärung von Straftaten hilft, hat derweil selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestags erkannt. Auch die von Innenminister Friedrich gewünschte Umbenennung in Mindestspeicherfrist (Neusprech lässt grüßen!) wird daran nichts ändern.

Von Seite der EU-Kommission wird derweil erfreulicher Druck auf Deutschland ausgeübt: Die Datenschutzbeauftragten müssten endlich vollständig unabhängig werden, wie es das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorsieht. Die Datenschutzbeauftragten stehen hier meist unter staatlicher Kontrolle, sind z.B. dem Innenministerium untergeordnet. Allein Schleswig-Holstein geht mit den unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz den richtigen Weg.

Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung, Überwachungsbefugnisse, Datenschutz – Die nächsten Wochen und Monate werden wieder sehr spannend, um es positiv auszudrücken.

Irrtum der Woche: Schuldig bis zum Beweis der Unschuld

Ich weiß, es ist irgendwie in Mode gekommen, die Unschuldsvermutung auf den Kopf zu stellen. Trotz allem bleibt diese überaus dreiste Behauptung von Justizministerin Zypries schlichtweg falsch:

Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe.

Hintergrund ist der, dass Internetnutzer, die auf die berüchtigten Stopp-Seiten stoßen, in Echtzeit überwacht werden sollen. Zypries behauptet nun einfach, dass diese Nutzer sich automatisch schuldig machen, kinderpornografisches Material beschaffen zu wollen. Nun gibt es aber leider diverse technische Möglichkeiten, wie ein Nutzer zufällig oder böswillig auf eine solche Seite geleitet werden kann, ohne dass er es möchte oder auch gar nur mitbekommt. Zum Beispiel durch automatische Weiterleitung, „vergiftete“ Links, eingebette Inhalte (I-Frames) und vieles mehr.

Laut Zypries soll ein Nutzer der auf die Sperrseite gelangt und somit ins Blickfeld des BKA rückt nun beweisen, dass es keine Absicht war. Er soll also seine Unschuld beweisen!

Nun besagt aber ein klitzekleiner (und scheinbar von vielen Politikern als unbedeutend eingestufter) Artikel der sogenannten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ folgendes:

Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

Dass Frau Zypries nicht weiß was ein Browser ist, das kann ich ihr durchaus verzeihen. Für soviel Inkompetenz werde ich sie einfach nicht wählen, dann sind wir quitt. Aber für soviel Ignoranz beim Thema Grund- und Menschenrechte, und das als Justizministerin … die Frau sollte sofort zurücktreten … ist ja nicht das erste Mal, dass sie so einen Unfug behauptet.

Über die (Un)wirksamkeit von Netzsperren

Die Argumentation, Netzsperren seien unwirksam, ist nicht zweckmäßig – darauf hat Netzpolitik mit Bezug auf Fefe aufmerksam gemacht. Ich stimme dem soweit zu, halte es jedoch für sinnvoll zwischen zwei Arten der Unwirksamkeit zu unterscheiden: Der technischen und der logischen Unwirksamkeit.

Technische Unwirksamkeit

Ich bezeichne Netzsperren als technisch unwirksam, wenn sie durch einfach technische Maßnahmen zu umgehen sind. Dazu zählen zum Beispiel die vertraglich vereinbarten DNS-Sperren. Das Problem bei der technischen Unwirksamkeit ist, wie Netzpolitik bzw. Fefe richtig feststellt, dass sie nicht als Argumentation gegen Netzsperren taugt, sondern im Gegenteil später als Bumerang auf uns zurückfallen kann. Es ist völlig irrelevant ob die Sperren technisch wirksam sind, darum geht es nicht! Es geht darum, dass eine Zensurinfrastruktur aufgebaut wird und allgemein die Akzeptanz für Netzsperren gefördert wird. Wenn wir jetzt argumentieren, dass die Sperren sowieso umgangen werden können, ist das lediglich ein Argument stärkere Filter einzuführen! Die Sperren sind undemokratisch und schädlich, egal ob sie überwindbar sind oder nicht – das Argument „technische Unwirksamkeit“ ist also völlig irrelevant und sollte vermieden werden.

Logische Unwirksamkeit

Niemand wird bestreiten, dass es ein vernünftiges Ziel ist, Kindesmissbrauch zu verhindern und Kinderpornografie aus dem Netz zu entfernen. In den Augen der Befürworter wird dieses Ziel durch die Netzsperren erreicht. Das ist und bleibt Unsinn. Völlig unabhängig davon ob die Sperren löchrig oder unüberwindbar sind: Die Kinder werden weiter missbraucht, Kinderpornos werden weiter ausgetauscht (weil dies ohnehin nicht über das offene Web geschieht) und eine millionenschwere Industrie wird auch nicht trocken gelegt, weil die Zahlen erfunden sind. Dies bezeichne ich als logische Unwirksamkeit – die Sperren erfüllen den behaupteten Zweck schlichtweg nicht. Keine Art von Sperre kann dies erreichen – völlig unabhängig davon, ob sie technisch funktioniert oder nicht.

Schlussfolgerung

Aus der logischen Unwirksamkeit folgt nicht, dass die Sperren keine Wirkung haben, sondern nur, dass die Sperren nicht die gewünschte Wirkung haben. Auf die entstehenden „Fehlwirkungen“ kann und sollte sich unsere Argumentation stützen. Zu den Fehlwirkungen zählen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit (Ergänzungen in den Kommentaren gerne gesehen):

  • Sperrung von legalen Internetseiten (durch menschliche Fehler, Kollateralschäden, Korruption, …)
  • Begehrlichkeiten weitere unliebsame Inhalte zu sperren (Gewaltseiten, Glücksspiel, Pirate-Bay, gewöhnliche Pornografie, extremistische politische Seiten, …)
  • Pauschale Verdächtigung von Leuten die zufällig auf Sperrseiten stoßen
  • Die daraus folgende Angst der Surfer vor unbekannten Links
  • Angst andere Inhalte zu verlinken

Diese Fehlwirkungen treten unabhängig davon auf, wie die Sperren konkret umgesetzt werden. Gegen den aktuellen Zensurvertrag und das geplante Gesetz gibt es zahlreiche weitere wichtige Gegenargumente, wie z.B. die fehlende Kontrolle des BKA, die Geheimhaltung der Verträge und der Sperrlisten sowie das Fehlen einer Regelung um Einträge wieder von der Liste zu entfernen. Eine umfangreiche Übersicht über Presseartikel und Blogbeiträge zum Thema gibt es bei hugelgupf.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Internetsperren, egal in welcher Ausprägung erfüllen ihren logischen Zweck nicht, sondern haben im Gegenteil schädliche Fehlwirkungen die die Meinungs- und Pressefreiheit gefährden und somit für unsere Demokratie schädlich sind. Ob die Sperren technisch funktionieren ist irrelevant, da sie die schädlichen Wirkungen in jedem Fall entfalten.

Irrtümer der Woche

Ungeachtet dessen, dass ich jetzt mehr als eine Woche außer Gefecht war, wird im Netz natürlich fleißig weiter geirrt. Ich versuche mir gerade einen Überblick über die gröbsten Spinnereien zu verschaffen.

Die Bahn glaubte doch tatsächlich sie könne Dokumente mit Gewalt wieder aus dem Netz rausprügeln. Sie wurde letzte Woche eines besseren belehrt, als Markus Beckedahl nicht einfach klein bei gab und hohe Wellen in der Blogosphäre schlug. Ein Musterbeispiel für den Streisand-Effekt – hat mich sehr gefreut 🙂 Schade, dass ich nicht selbst dazu beitragen konnte.

Weniger lernwillig ist da Frau von der Leyen, die immer noch an Internetfiltern festhält. Dass auf mich keiner hört weiß ich ja, aber mittlerweile gibt es mehrere Gutachten die den Unsinn der geplanten Maßnahmen bescheinigen. Da sollte man doch mal hellhörig werden?!

Aber nein, nichtsdestotrotz wurde derweil ein Mustervertrag zwischen dem BKA und den Internet Service Providern ausgearbeitet (PDF), „um den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten im Internet zu erschweren.“ Immerhin hat man erkannt, dass es hier bestenfalls ums Erschweren geht, aber niemals um eine Blockade. Besonders makaberes Detail: Man ist sich auch bewusst, dass Unbeteiligte beeinträchtigt werden können und nimmt dies in Kauf:

Dabei stellt der ISP sicher, dass eine mögliche Beeinträchtigung der Rechte unbeteiligter Dritter auf das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Minimum begrenzt wird.

Ein gefährlicher Rhetoriker

Audimax der Uni Karlsruhe während Schäubles RedeWie versprochen gibt es jetzt hier noch einen kleinen Überblick über Schäubles Rede an der Uni Karlsruhe. Wirklich viel Neues hatte er nicht zu bieten: Nur die üblichen Scheinargumente, Verharmlosung und Verdrehung von Tatsachen, ausgeschmückt und aufgelockert durch Anekdoten und kleine Witzeleien. Dabei entsteht eine gefährliche Mischung, die ihn selbst für Kritiker zeitweilig sympathisch erscheinen lässt.

Ich gehe hier nicht auf alle seine falschen Thesen und Behauptungen im Detail ein. Das wurde und wird schon an anderen Stellen im Netz zu genüge getan. Sollte es dennoch zu dem ein oder anderen Punkt Diskussionsbedarf geben, äußert das bitte in den Kommentaren. Ich werde gerne darauf antworten.

Die Globalisierung

Alle Teile der Welt sind von der Globalisierung betroffen – dies bringe neue Anforderungen an die Sicherheit, sagt Schäuble. So weit so unkonkret. Konkreter: Es stimme, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt würde. Darauf folgten laute „Pfui!“ Rufe aus dem Publikum. Interessant ist wie Schäuble darauf reagierte:

„Ich versuche es zu erklären“

Ein geübter Rhetoriker lässt sich von sowas nicht aus dem Konzept bringen. Es blieb aber tatsächlich bei einem Erklärungsversuch, viel Inhalt konnte ich seinem Gerede über deutsche und europäische Interessen nicht abgewinnen.

Die Diktatoren und das Internet

Interessant fand ich Schäubles These, Diktatoren könnten sich dank des Internets nicht mehr abschotten. Da gebe ich ihm Recht! Das Netz ist die Chance überhaupt, für eine weltweite Demokratisierung und globalen, freien Meinungsaustausch. Doch warum um Himmels Willen, versucht man dann das Netz immer stärker zu kontrollieren und zu überwachen? Schäuble postulierte, der „Regulierungsbedarf“ für das Internet werde größer. Da erscheint es mir eher so, dass es ihm ein Dorn im Auge ist, dass man sich als Diktator nicht mehr abschotten kann…

Die diffamierende Datenschutzdebatte

Der Binnenmarkt lag Schäuble sehr am Herzen: Die Öffnung nach innen erfordere aber eine stärkere Kontrolle nach außen. Es sei ärgerlich, dass die dazu geforderten „Sicherheitssysteme“ in Datenschutzdebatten immer wieder diffamiert würden. Er zeigte sich auch verständnislos, dass wir in Deutschland „immer alles gleich verfassungsrechtlich“ diskutieren.

Herr Schäuble, wenn die Gesetze der Regierung nicht ständig bis an die Grenze unserer Verfassung und darüber hinaus gingen, dann müssten wir auch nicht ständig „verfassungsrechtlich diskutieren“. Öffentliche Debatten sind im Übrigen ein Fundament unserer Demokratie. Deren Notwendigkeit in Frage zu stellen, zeugt davon wie wenig unser Innenminister davon wissen will.

Verfassungswidrig: Das sind die anderen

Doch Herr Schäuble versteht es, sich rhetorisch in ein gutes Licht zu rücken. Das Luftsicherheitsgesetz zum Beispiel, hätte ja die frühere rot-grüne Regierung zu verantworten. Er hätte ja gleich gesagt, das sei verfassungswidrig!

Das Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens führte erstmals in Deutschland Online-Durchsuchungen ein. Es sei laut Schäuble nur deshalb vom Bundesverfassungsgericht gestoppt worden, weil es „schlampig verarbeitet“ gewesen sei. Das BKA-Gesetz mache natürlich alles besser und sei verfassungsrechtlich absolut sauber. Schließlich habe der Gesetzgeber schon 2006 die „Abwehr einer grenzüberschreitenden Gefahr“ in die Hände des Bundes gelegt. Die Kritiker hätten diesen Punkt zunächst übersehen und sich dann in „Betroffenheitserklärungen“ verflüchtigt, als „sie ihren Irrtum erkannt“ haben. Plötzlich behauptete Schäuble auch, dass „alles natürlich nur mit Richter“ möglich sei, ungeachtet dessen, dass dies zunächst in der Eilfallregelung des BKA-Gesetzes nicht vorgesehen war.

Verbrecher: Das sind die anderen

Der Staat sei auch gar nicht die eigentliche Gefahr für das Grundgesetz: Nein, vielmehr sei das die Wirtschaft! Er müsse sich ja vorsichtig ausdrücken, aber die Bahn zum Beispiel verstieße vermutlich gegen geltendes Recht.

Schlechte Menschen gebe es immer und überall, daher könne er auch nicht ausschließen, dass ein Polizist illegal von Online-Durchsuchungen Gebrauch macht. Das sei dann aber ein Gesetzesverstoß, der verfolgt wird wie jeder andere auch.

Der Mythos der Alternativlosigkeit

Der berüchtigte „Mythos der Alternativlosigkeit“ war natürlich auch in Schäubles Rede mit dabei. Schäuble macht ihn sich zu nutze, um seine Politik als die einzig richtige darzustellen.

Weder die Generalprävention, noch die Kriminalprävention könnten einen Selbstmordattentäter von seiner Tat abhalten, behauptet Schäuble. Die einzige (!) Chance sei es daher „von Straftaten zu erfahren, bevor sie verwirklicht werden“. Eine nähere Erklärung folgte nicht. Dieses Postulat blieb so im Raum stehen.

Dr. Schäuble erzählt Geschichten

Schäuble versteht es, seine Rede durch kurze Geschichten und lustige Bemerkungen aufzulockern. Er schafft es damit den unkritischen Zuhörer und selbst unvorbereitete Kritiker auf seine Seite zu ziehen oder zumindest Sympathie zu erzeugen. Deshalb halte ich diese gezielt und bewusst platzierten Elemente seiner Rede für noch gefährlicher als jede falsche oder verharmlosende Behauptung.

Er könne ja schließlich nicht Schlauchboote in den Kampf gegen Piraten schicken. Und die Polizei könne auch nichts gegen einen Bombenangriff aus der Luft unternehmen, genausowenig wie die DLRG.

Solche Bemerkungen rufen beim Zuhörer mindestens ein Lächeln hervor, vielleicht sogar Zustimmung, obwohl der Vergleich völlig an der Realität und der Sache vorbei geht. Der Trick ist der, beim Zuhörer Sympathie zu erzeugen. Mit nichts geht dies leichter, als mit einem lockeren Witz. Die Sachlichkeit fällt dabei zunächst unter den Tisch, während der Zuhörer aufgeschlossener und unkritischer gegenüber dem Redner wird. Schäuble weiß das und macht es sich zu nutze. Das macht ihn so gefährlich.

Fragerunde

Die „Fragerunde“ war ein Witz. Darauf werde ich in einem separaten Artikel eingehen.

Weiterführende Links

Irrtum der Woche: Kinderpornografie ist „klar abgrenzbar“

Zensur

Beim Thema Internetzensur wird gerne und häufig geirrt, aber besonders aufgefallen ist mir diese Woche die Aussage von Familienministerin Ursula von der Leyen, Kinderpornografie sei als Problem „klar abgrenzbar“. Spiegel-Online berichtet:

Bedenken, ein solches System könnte auch als Zensurinstrument für andere Themen und Inhalte eingesetzt werden, wollte von der Leyen nicht gelten lassen: „Wir dürfen das Thema nicht verwässern.“ Kinderpornografie sei als Thema und Problem „klar abgrenzbar“.

Aha, und was ist mit der viel diskutierten „Scheinjugendpornografie“, bei der selbst bei Erwachsenen Darstellern Strafe droht, wenn sie „zu jung aussehen“ (Wer auch immer das bestimmen mag)? Und was ist mit fiktiven Darstellungen? In Australien zumindest können Darstellungen von den Simpsons als Kinderpornografie gelten. Oder Großbritannien: Hier wurde mal eben die komplette Wikipedia lahmgelegt, weil auf einem Album-Cover der Scorpions ein nacktes Mädchen abgebildet ist.

Man mag das alles für geschmacklos halten, aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass die Ministerin behauptet, Kinderpornografie sei ein „klar abgrenzbares“ Thema. Das ist offensichtlich nicht der Fall, da es unterschiedliche subjektive Einstufungen gibt und oftmals nicht zwischen echter Kinderpornografie und geschmacklosen Darstellungen unterschieden wird.

Das wird insbesondere dadurch zum Problem, weil das BKA in Eigenregie die Filterlisten pflegen und ungeprüft an die Internetprovider weiterreichen soll. Hier ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Wer garantiert, dass nicht irgendetwas gesperrt wird, nur weil es einem BKA-Beamten nicht passt? Und welche Begehrlichkeiten weckt eine Zensurinfrastruktur noch, wenn sie erst einmal besteht? Von der Leyen gesteht ein:

Sie könne jedoch nicht ausschließen, was „künftige Bundesregierungen“ für „Wünsche und Pläne entwickeln“.

Das nimmt sie in ihrem blindem Kampf gegen Kinderpornografie scheinbar in Kauf. Leider vergisst sie auch, dass Filterlisten die Kinder nicht schützen, sondern letztendlich nur die Augen vor diesen Taten verschlossen werden.

Terrorist-generated content

Der Künstler Johannes Kreidler machte erst vor kurzem mit seiner Aktion „product placement“ auf die weltfremden Anforderungen einer GEMA-Anmeldung aufmerksam. Sein neuester Coup nennt sich „Call Wolfgang“ und ist mindestens genauso genial.

Er lässt zwei Computer selbstständig über Voice-over-IP miteinander telefonieren. Zwischen völlig unverständlichem Gebrabbel tauchen immer wieder Worte wie „Prekarisierung“, „Bezugsrahmen“ und „Reproduktion“ auf. Wegen genau solcher Worte wurde der Soziologe Andrej Holm und dessen Familie über ein Jahr überwacht.

Kreidler will darauf aufmerksam machen, wie sinnlos Telekommunikationsüberwachung ist:

Diese Computer werden sich bestimmt nie in die Luft sprengen, und ebenso harmlos sind Millionen Emails, die täglich in Deutschland verschickt werden. Wer die Energie für Kriminelles hat, wird auch das bisschen Energie haben, seine Emails im Internetcafé zu schreiben, das kann sich doch jedes Kind denken. Aber trotzdem will der Innenminister so viele Daten aus privaten Haushalten per Gesetz sammeln, Vorratsdatenspeicherung, Telekommunikationsüberwachung, man weiß nie, ob sein Telefonat nicht auch ein Telefonat mit Schäuble ist.

Die Rechner laufen rund um die Uhr und geben auch Worte wie „Allah“ und „Bombe“ von sich und zitieren Koranverse.

Verdachtserhärtend kommt hinzu, dass die Rechner nicht direkt verbunden sind, sondern über einen Server im Iran,

kommentiert Kreidler in seinem Trailer.

Besonders liebevolles Detail: Im Hintergrund wird Kreidlers Musikstück aus der Aktion „product placement“ abgespielt.

Wenn das Gespräch also vom BKA mitgeschnitten wird, begehen sie noch eine Urheberrechtsverletzung. Ich darf ja auch nicht einfach Musik von anderen Leuten aus dem Internet kopieren. Die GEMA muss jetzt in meinem Auftrag das BKA abmahnen, so wie das die Musikindustrie ja auch tut und dafür die Vorratsdaten gespeichert haben will. Gesetz ist Gesetz.

Der Anfang vom Ende des BKA-Gesetzes

Disclosure: Ich bin Mitglied der Piratenpartei

Ich behaupte jetzt einfach mal, dass sich das BKA-Gesetz in die Lange Liste der vom Bundesverfassungsgericht gekippten Überwachungsgesetze einreihen wird. Bereits kurz nachdem der Bundestag das Gesetz heute mit 375 Ja zu 168 Nein Stimmen verabschiedet hat, kündigte die Bürgerrechtlerin Twister Verfassungsbeschwerde an:

Wir sind zuversicherlich, dass auch hier das Bundesverfassungsgericht den immer stärker werdenden Überwachungs- und Kontrollbegierden der Regierung sowie der Behörden einen Riegel vorschieben wird. Das BKA-Gesetz stellt einen schweren Einschnitt in die Freiheit innerhalb Deutschlands dar, für die es sich (nicht nur juristisch) zu kämpfen lohnt.

Die Piratenpartei hat ihr sogleich Unterstützung zugesagt:

Die Piratenpartei sieht das BKA-Gesetz als einen schweren Angriff auf die Freiheit an und begrüßt daher die Ankündigung des Parteimitglieds Bettina Winsemann alias „Twister“, Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einzulegen. […] Neben der Unterstützung der Verfassungsbeschwerde ruft die Piratenpartei auch weiterhin die Bevölkerung auf, sich von der Angst vor dem Terrorismus zu lösen und aktiv für mehr Freiheit und die Bewahrung der Bürgerrechte zu engagieren. Bürger und Staat müssen besonnen auf Bedrohungen reagieren und nicht in Hysterie und Panik den Blick für das Wesentliche verlieren.

Ich glaube zwar nicht, dass das Gesetz vollständig gekippt wird, aber die besonders kritischen Teile werden wohl rausfliegen. Die Online-Durchsuchung musste das BVerfG ja schonmal entsorgen, mal gespannt was die Richter zu den stark erweiterten exekutiven und präventiven Befugnissen sagen.

Neues zu Vorratsdaten und Online-Durchsuchung

Zum Thema Überwachung gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Die Bundesregierung hat sich gestern auf einen Entwurf des neuen BKA-Gesetzes geeinigt. Der Entwurf beinhaltet weitreichende Befugnisse für das BKA, die kaum einer Kontrolle unterliegen. Die lange Liste der Probleme gibt es auf daten-speicherung.de.

Besonders brisant sind weiterhin die heimlichen Online-Durchsuchungen. Schon die Tatsache, dass diese heimlich erfolgen widerstrebt dem rechtsstaatlichen Gedanken. Problematisch ist insbesondere, dass sich das BKA selbst kontrolliert. Statt einem Richter werden die ermittelten Daten von zwei Kriminalbeamten begutachtet. Zwar konnte die SPD durchsetzen, dass außerdem noch der Datenschutzbeauftragte der Behörde mit draufschaut, aber das erscheint mir als Augenwischerei und wird kaum dazu reichen, Missbrauch zu verhindern.

Leider ist die Gefahr-im-Verzug-Regelung immer noch mit drin. Dadurch kann im „Eilfall“ die richterliche Genehmigung vorerst ausbleiben. Warum es bei einer technisch angeblich so lange vorbereiteten Maßnahme eine Regelung für den Eilfall bedarf ist mir schleierhaft. BKA-Chef Ziercke brachte diesen Widerspruch auf den Punkt, als er darauf hinwies, dass jede Online-Durchsuchung ein „sorgfältig programmiertes Unikat“ sei, während er gleichzeitig die Wichtigkeit der Eilbefugnis betonte.

Die neu hinzugekommene Befristung bis 2020 kann ich nur als schlechten Scherz betrachten. Wenn sich die Online-Durchsuchung jetzt durchsetzt, wird keine Frist mehr einen zukünftigen Einsatz verhindern, insbesondere wenn diese so weit in der Zukunft liegt. Bleibt zu hoffen, dass die Online-Durchsuchung abermals vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird. Nach der Entscheidung zu der Regelung in NRW habe ich daran kaum Zweifel.

Auch die heutige Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung lässt hoffen: Die Verfassungsrichter haben die Maßnahme weiter eingeschränkt. Die Entscheidung vom März wurde bereits im September um 6 Monate verlängert. Zwischenzeitlich gab es jedoch Änderungen im bayerischen Polizei- und Verfassungsschutzrecht, die den Geheimdiensten Zugriff auf die Vorratsdaten gestatten. Der neue Entscheid des Bundesverfassungsgerichts schiebt dem nun einen Riegel vor. Gleichzeitig wurde die Beschränkung um 6 Monate verlängert.

Update: Der von der großen Koalition beschlossene Kompromiss zum BKA-Gesetz liegt netzpolitik.org vor.