Ägypten: Auf dem Weg zur Demokratie oder in die nächste Diktatur?

Da mein nächster Ägyptenurlaub kurz bevor steht, denke ich, ein kurzer Blick auf die politische Lage seit der Revolution wäre angebracht. Mein letzter Besuch dort war in 2008 und seitdem hat sich ja ein bisschen was getan.

Seit ich 2006 das erste Mal in Ägypten war, dort mit Einheimischen gesprochen und mich im Zuge dessen auch ein wenig mit der Geschichte und Gegenwart Ägyptens befasst habe, bezeichnete ich Mubarak unumwunden als Diktator, während westliche Medien und Politiker noch den „Präsidenten“ heuchelten.

Ich bin sehr froh, dass sich die Ägypter seiner endlich entledigt haben. Gleichzeitig sorge ich mich seit der Machtübernahme des Militärs, dass Ägypten damit in die nächste Diktatur stürzt. Denn wer einmal Macht besitzt, gibt diese nur ungern wieder ab.

Wie ist also nun die Situation in Ägypten? Einen journalistisch fundierten Hintergrundbericht kann ich nicht bieten, sondern derzeit auch nur Infos aus dem Netz zusammentragen. Also denkt selbst und recherchiert selbst, wenn ihr etwas genau wissen wollt. Wenn ich wieder zurück bin, kann ich sicher ein paar Eindrücke von vor Ort bieten, aber soweit sind wir ja noch nicht.

Regierung und Wahlen

In Ägypten regiert derzeit der  „Oberste Militärrat„, dessen Vorsitzender Mohammed Hussein Tantawi ist. Interessant ist, dass Tantawi bereits Verteidigungsminister unter Mubarak war, als enger Vertrauter des ehemaligen Diktators gilt und sich deshalb den Spitznamen „Mubaraks Pudel“ eingehandelt hat.

Nichtsdestotrotz hat die Militärregierung freie, demokratische Wahlen versprochen und für die gibt es mittlerweile Termine: 28. November 2011, 14. Dezember 2011 und 03. Januar 2012 (je nach Region). Die Volksversammlung soll dann am 17. März 2012 zum ersten Mal tagen. Präsidentschaftswahlen soll es erst nach Ausarbeitung einer neuen Verfassung geben.

Leicht ist es indessen nicht, an der Wahl teilzunehmen: Nachdem jegliche Opposition jahrzehntelang unterdrückt wurde, müssen sich zunächst einmal Parteien formieren. Die Gründung einer Partei muss gemäß Art. 7 des Parteiengesetzes dem „Committee on Political Parties“ schriftlich bekannt gegeben und Unterschriften von 5.000 (fünftausend) Gründungsmitgliedern müssen vorgelegt werden.

Grund- und Menschenrechte

Mubarak regierte seine gesamte Amtszeit lang unter Anwendung eines Notstandsgesetzes, welches fast sämtliche durch die Verfassung garantierten Grundrechte aufhob. Statt solch diktatorische Vollmachten und Einschränkungen der Freiheit aufzuheben lässt die Militärregierung das Notstandsgesetz jedoch weiter in Kraft.

Und es kommt noch härter: Die Versammlungsfreiheit wurde sogar weiter eingeschränkt!

Offenbar ist die neue Militärregierung keinen Deut besser als Diktator Mubarak. Anfang April flammten daher die Proteste neu auf und die Menschen forderten die Absetzung von Tantawi und des Militärrats. Während sich das Militär bei den Demonstrationen gegen Mubarak noch neutral zurückhielt, zeigte die Militärjunta nun ihr wahres Gesicht und ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor.

Auch die Meinungsfreiheit scheint beim Regime unbeliebt zu sein: Ein ägyptischer Blogger, welcher das Militär kritisierte wurde kurzerhand vors Militärgericht gestellt und in einem Schnellverfahren zu drei Jahren (!) Haft verurteilt. Er kritisierte unter anderem, dass der Diktator weg sei, nicht aber die Diktatur, was die Militärregierung mit ihrer Reaktion unweigerlich bestätigte.

Laut des „Hisham Mubarak Law Center“ hat die Militärjunta in nur 7 Monaten rund 12.000 (!) Zivilisten vor Militärgerichte gestellt – Mubarak 2.000 in 30 Jahren.

Eine Frage der Zeit?

Eine Demokratie sieht zweifelsohne anders aus. Aber war ernsthaft zu erwarten, dass ein Rücktritt Mubaraks sogleich zu demokratischen Verhältnissen führt? Ist die Militärregierung nicht vielmehr ein „notwendiges Übel“ um Stabilität bis zu den Wahlen zu gewährleisten und der Demokratisierung die notwendige Zeit zu geben?

Zumindest habe ich ähnliche Argumente nach dem Sturz von Mubarak gehört, als ich damals die Machtübernahme des Militärs anprangerte. Mir fällt es jedoch schwer nachzuvollziehen, wie die Inhaftierung von Kritikern und der Angriff auf Demonstranten für Stabilität und Demokratisierung sorgt.

Werfen wir trotzdem einen Blick auf die Agenda: Wahlen von November bis Januar und konstituierende Sitzung im März. Spätestens im April sollen dann in einer gemeinsamen Sitzung der Vollversammlung und der beratenden Schura 100 Leute gewählt werden, die ein verfassungsgebendes Gremium bilden. Über die entstandene Verfassung soll es eine Volksabstimmung geben. Sobald dies geschehen ist soll innerhalb von maximal 60 Tagen ein neuer Präsident gewählt werden.

Vor Mitte 2012 ist also ohnehin nicht mit einer demokratischen Regierung zu rechnen. Auch nach der Wahl zur Vollversammlung wird die Militärjunta mit den diktatorischen Vollmachten der Notstandsgesetze weiter regieren. Zwar wurde angekündigt den Ausnahmezustand noch vor den Wahlen aufzuheben, dies wurde jedoch schnell zu einem „überdenken“ und mangels konkretem Termin erscheint das ganze wie eine typische Beschwichtigung.

Ob in einem Staat, in dem praktisch jedem jederzeit die Inhaftierung drohen kann, die unabhängige Ausarbeitung einer Verfassung überhaupt möglich ist, wage ich zu bezweifeln. In den kommenden Monaten hat die Militärjunta viel Zeit, ihre Macht und ihren Einfluss weiter auszubauen und zu festigen. Man darf gespannt sein, inwieweit die neue Verfassung dieser Position in die Hände spielen wird, oder ob die sie dem Machtmissbrauch und der Willkür Einhalt gebieten wird. Einen „Präsidenten Tantawi“ der das Land in der Tradition Mubaraks weiterregiert wünsche ich den Ägyptern jedenfalls nicht.

Menschenrechte? Sobald das finanziell möglich ist!

Was ich hier lesen muss, verschlägt mir ja schon wieder fast die Sprache:

Die Bundesregierung betrachtet das Menschenrecht auf den Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung (MRWS) als ein ”progressives Recht“, dessen praktische Umsetzung ”nur sukzessive und entsprechend der jeweiligen finanziellen und logistischen Leistungsfähigkeiten der einzelnen Staaten“ erfolgen könne.

Äh, ja genau. Schließlich wissen wir alle, dass sauberes Trinkwasser kein Naturzustand ist, sondern in aufwändigen industriellen Prozessen von Großkonzernen hergestellt wird. Das kann sich natürlich nicht jeder Staat auf Anhieb leisten. Das braucht seine Zeit. Schon klar.

Demnächst müssen wir dann sicher auch noch sowas lesen:

Die Bundesregierung betrachtet das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit als ein ”progressives Recht“, dessen praktische Umsetzung ”nur sukzessive und entsprechend der jeweiligen sicherheitstechnischen und organisatorischen Leistungsfähigkeiten der einzelnen Staaten“ erfolgen könne.

Kandidatenwatch: Untergrabung von Filtersystemen

Kandidatenwatch.de ist eine Plattform, die es den Wählern und allen Interessierten ermöglicht, vor der Wahl Fragen an die Kandidaten zu richten.

Als Listenkandidat der Piratenpartei bin auch ich dabei. Bitte nutzt die Gelegenheit, mir und den anderen Kandidaten der Piratenpartei Fragen zu stellen. Es schadet auch nichts den Internetausdruckern die ein oder andere kritische Frage zu Netzpolitik, Datenschutz und Bürgerrechten zu stellen.

Ich werde die mir gestellten Fragen und meine Antworten auch hier veröffentlichen. Die erste gibt es schon, es geht um die Untergrabung von Filtersystemen:

Ihr Parteiprogramm, Inhaltsfilterung:
„Initiativen âEUR“ politischer wie technischer Natur âEUR“ zur Untergrabung von Filtersystemen sind im Rahmen außenpolitischer Möglichkeiten zu unterstützen.“

Wie gedenken Sie vorgenannte Initiven zu unterstützen, respektive zuerst einmal zu initiieren?
Wo liegt Ihre Akzeptanzschwelle zu „Initiativen âEUR“ politischer wie technischer Natur“?

Der zitierte Abschnitt aus dem Parteiprogramm bezieht sich auf ausländische Filtersysteme, wie zum Beispiel in China. Es reicht nicht, dass Demokratien lediglich mit dem mahnenden Zeigefinger auf Staaten zeigen, die das Internet filtern und zensieren. Den Menschen die unter der Unterdrückung ihrer Meinungs- und Kommunikationsfreiheit leiden, muss aktiv geholfen werden. Ein freier Informationsaustausch mit Freunden und Bekannten anderer Staaten liegt auch im Interesse der europäischen Bevölkerung. Eine Behinderung dieser Kommunikation dürfen wir nicht akzeptieren. Auf keinen Fall dürfen europäische Unternehmen die Zensurbestrebungen totalitärer Staaten unterstützen!

Unser Parteiprogramm unterscheidet zwischen technischen und politischen Initiativen um die Kommunikationsfreiheit zu gewährleisten. Eine politische Initiative könnte zum Beispiel eine Aufklärungskampagne im Web sein, die den Betroffenen erklärt, wie sie die Filter umgehen können. Oft ist dies nämlich ganz einfach möglich und nach einer kurzen Erklärung auch für Laien durchführbar. Eine solche Initiative kann durch die EU zum einen finanziell unterstützt werden, für wichtiger halte ich aber sogar die ideelle Unterstützung. Denn die Chance ist hoch, dass die Kampagnen ebenso im Filter landen, wie andere unerwünschte Inhalte. Indem die EU eine solche Initiative offiziell unterstützt, erhöht sie den außenpolitischen Druck auf die filternden Staaten. Ich schätze die Hemmschwelle, eine offizielle EU-Seite zu sperren, als deutlich höher ein, als bei einer x-beliebigen Initiativenseite, insbesondere wenn die EU sich international und medienwirksam für diese Initiativen stark macht.

Als technische Initiative kann ich mir beispielsweise die Einrichtung von Proxy-Servern, alternativen DNS-Servern und VPN-Netzwerken oder die Entwicklung von Anonymisierungsdiensten im Rahmen eines Hochschulprojektes vorstellen. An der Universität Toronto zum Beispiel, wurde die Software „Psiphon“ speziell zur Umgehung von Zensur- und Filtersytemen entwickelt. Es ist wichtig, dass Maßnahmen zur Umgehung von Zensur stetig weiterentwickelt und verbessert werden. Auch diesbezüglich halte ich die finanzielle und ideelle Unterstützung durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten für sehr wichtig.

Die Untergrabung von Filtersystemen darf in meinen Augen jedoch keinen Angriff auf die technische Infrastruktur von anderen Staaten bedeuten. Ich halte lediglich reine Umgehungsmaßnahmen für rechtmäßig und unterstützenswert.

Ich hoffe ich konnte Ihre Frage damit zu Ihrer Zufriedenheit beantworten. Zögern Sie nicht, bei Bedarf Rückfragen zu stellen.

Irrtum der Woche: Schuldig bis zum Beweis der Unschuld

Ich weiß, es ist irgendwie in Mode gekommen, die Unschuldsvermutung auf den Kopf zu stellen. Trotz allem bleibt diese überaus dreiste Behauptung von Justizministerin Zypries schlichtweg falsch:

Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe.

Hintergrund ist der, dass Internetnutzer, die auf die berüchtigten Stopp-Seiten stoßen, in Echtzeit überwacht werden sollen. Zypries behauptet nun einfach, dass diese Nutzer sich automatisch schuldig machen, kinderpornografisches Material beschaffen zu wollen. Nun gibt es aber leider diverse technische Möglichkeiten, wie ein Nutzer zufällig oder böswillig auf eine solche Seite geleitet werden kann, ohne dass er es möchte oder auch gar nur mitbekommt. Zum Beispiel durch automatische Weiterleitung, „vergiftete“ Links, eingebette Inhalte (I-Frames) und vieles mehr.

Laut Zypries soll ein Nutzer der auf die Sperrseite gelangt und somit ins Blickfeld des BKA rückt nun beweisen, dass es keine Absicht war. Er soll also seine Unschuld beweisen!

Nun besagt aber ein klitzekleiner (und scheinbar von vielen Politikern als unbedeutend eingestufter) Artikel der sogenannten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ folgendes:

Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

Dass Frau Zypries nicht weiß was ein Browser ist, das kann ich ihr durchaus verzeihen. Für soviel Inkompetenz werde ich sie einfach nicht wählen, dann sind wir quitt. Aber für soviel Ignoranz beim Thema Grund- und Menschenrechte, und das als Justizministerin … die Frau sollte sofort zurücktreten … ist ja nicht das erste Mal, dass sie so einen Unfug behauptet.

Irrtum der Woche: Vorratsdatenspeicherung dient dem Schutz der Menschenwürde

Die Vorratsdatenspeicherung und die Online-Durchsuchung dienen auch dem Schutz des Menschen, der Privatsphäre. […] Die Vorratsdatenspeicherung als europäische Vorgabe ist ein Instrument, das dem Menschenrechtsschutz dient.

behauptete am Montag Dirk Heckmann, Rechtsprofessor aus Bayern. Da bin ich ja fast schon sprachlos. Die Vorratsdatenspeicherung sei nötig um Nutzer hinter IP-Adressen aufzudecken und so z.B. Kinderpornografie wirksam verfolgen zu können, so seine Begründung.

Das hat mit Schutz der Menschenrechte natürlich überhaupt nichts zu tun, sondern bestenfalls mit dem Schutz vor Kriminalität. Die Grund- und Menschenrechte werden durch die Maßnahme nicht geschützt, sondern eingeschränkt.

Doch wie sieht es mit dem Schutz der Menschen selbst aus? Kann die Vorratsdatenspeicherung uns und unsere Kinder vor kriminellen Übergriffen schützen? Auch in diesem Punkt irrt Heckmann, denn durch die Vorratsdatenspeicherung können Straftaten bestenfalls im Nachhinein aufgeklärt werden. Allerdings ist es für Kriminelle leicht, die Datensammlung zu umgehen, indem sie zum Beispiel Anonymisierungsdienste benutzen. Die tatsächliche Aufklärungsrate ist verschwindend gering. Die Vorratsdatenspeicherung greift also unverhältnismäßig in unsere Privatssphäre ein.

Die Datenmassen die über unser Telekommunikationsverhalten gesammelt werden schützen uns nicht, sondern sind eine Gefahr. Vorhandene Daten wecken Begehrlichkeiten und sind anfällig für Missbrauch. Wir müssen vor diesem Missbrauch geschützt werden – und das gelingt nur wenn die Daten erst gar nicht gesammelt werden.