Datenethik als Richtungsweiser im Informationszeitalter

Repost des Artikels von Benjamin Siggel  vom 7. August 2011

Spackos und Aluhüte, Datenschutz und Transparenz, Öffentlich und Privat. Wie muss sich unsere Gesellschaft verändern, um im Informationszeitalter zu bestehen? Und was müssen wir dabei lernen? Ein Manifest – und ein Diskussionsanstoß.

PROLOG

Die Welt ist im Umbruch, verursacht durch die aufkommende Informationsgesellschaft. Menschen tauschen Informationen mit Anderen aus – und es werden stetig mehr.
Während die Vernetzung die aufkommenden Demokratiebewegungen in aller Welt massiv unterstützt hat – was einhellig begrüßt wurde – gibt es auf der anderen Seite auch Bedenken gegenüber derselben Vernetzung, wenn es um das Verbreiten persönlicher Informationen geht.
Wie nahezu jede Sache kann Vernetzung positiv als auch negativ genutzt werden. Die negativen Auswüchse bringen immer schnell Rufe nach einem stärkeren Datenschutz hervor, häufig verbunden mit teils sehr unrealistischen Forderungen.
Viele dieser Reaktionen berücksichtigen nicht, dass sich die Welt mittlerweile geändert hat. Wir erzeugen nicht nur immer mehr Daten – auch immer mehr Menschen sind im Besitz dieser Daten. Sie führen umfangreiche Adressbücher, erstellen Videos und Fotos und stellen diese anderen zur Verfügung. Oft genug geschieht dies, ohne sich ausreichend Gedanken über mögliche Folgen gemacht zu haben.
Die große Anzahl von Datenverarbeitern macht es unmöglich, den Fluss von Daten alleine durch Gesetze regulieren zu wollen.
Gesetze sind ein wichtiges Mittel, wenn es um Datenverarbeitung durch gewerbliche Verarbeiter geht. Auf Privatmenschen jedoch sind sie kaum anwendbar. Die Hand des Gesetzes erreicht nicht die Computer Privater und im Hinblick auf Freiheit und Überwachung ist auch ein Staat nicht erstrebenswert, der im Namen des Datenschutzes seinen Bürgern bei der Datenverarbeitung über die Schulter schaut.
Die Pioniere des Informationszeitalters, die Hacker, standen schon früh vor ähnlichen Fragen. Ihre Antwort war ein Verhaltenskodex: die Hackerethik.
Dieser Kodex hat das Selbstverständnis der Hackerkultur bis heute entscheidend geprägt. Nicht, weil eine staatliche oder technische Autorität diese Regeln erzwungen hat, sondern weil sich die Mehrheit aus eigener Überzeugung an diese Regeln hält und Übertretungen missbilligt werden.
Es ist nun an der Zeit, einen Kodex für die ganze Informationsgesellschaft zu finden. Es ist Zeit für eine Datenethik.

ERSTES DATENETHISCHES MANIFEST

Du bestimmst über deine Daten.

Deine Freiheit, über die Verwendung deiner Daten selbst zu bestimmen, ist der zentrale Grundsatz. Es liegt an dir, ob du viel, wenig oder gar nichts über dich veröffentlichen möchtest. Es ist dein Recht darüber zu bestimmen und deine Pflicht andere darüber zu informieren, damit sie deinen Wunsch respektieren können.

Privatsphäre beginnt dort, wo dein Gegenüber seine Grenze zieht, nicht aber dort, wo du sie ziehen würdest.

Menschen sind unterschiedlich. Was du ohne mit der Wimper zu zucken veröffentlichen würdest, kann für einen anderen ein intimes Detail sein und umgekehrt. Du musst daher keine Daten von Personen schützen, die dies nicht wünschen – andererseits aber auf Wunsch persönliche Informationen auch dann vertraulich behandeln, wenn du es selbst nicht nachvollziehen kannst. Respektiere das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Individuums und setze nicht deine persönliche Sicht der Dinge an seine Stelle, denn auch deine Privatsphäre hängt von der Rücksichtnahme Anderer ab.

Veröffentliche keine Daten Anderer ohne Erlaubnis, wenn nicht ausnahmsweise die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat.

Spiegelbildlich zum Selbstbestimmungsrecht über deine eigenen Daten bist du in der Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht Anderer zu respektieren. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung gegenüber dem Interesse des Individuums deutlich überwiegt, beispielsweise, wenn du Straftaten, Korruption oder andere Missstände aufdecken willst. Doch auch hier solltest du abwägen, wie detailliert eine Veröffentlichung im Einzelfall sein muss, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen.

Menschen haben ein Recht auf Anonymität und Pseudonymität.

Akzeptiere, wenn jemand seine wahre Identität nicht preisgeben möchte. Versuche nicht, seine wahre Identität zu recherchieren. Solltest Du wissen, wer sich tatsächlich hinter einem Pseudonym verbirgt, respektiere den Wunsch, pseudonym zu bleiben. Behalte dein Wissen für Dich, falls nicht ausnahmsweise die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat.

Veröffentliche keine Daten, die nicht öffentlich sein sollen.

Mache dir bewusst, was Öffentlichkeit bedeutet. Sei dir immer im Klaren, was mit Daten geschehen kann, die du verbreitest. Selbst wenn sie nur für eine kleine Gruppe gedacht waren, rechne damit, dass sie sich weiter verbreiten könnten. Gehe immer davon aus, dass die verbreiteten Daten eine erheblich größere Zielgruppe erreichen könnten als du ursprünglich beabsichtigt hast. Deswegen überlege stets, ob du sie wirklich – und wenn ja – ob du sie in dieser Form verbreiten möchtest.

Öffentliche Daten sind öffentlich, du kannst sie nicht zurückholen.

Was einmal öffentlich ist, kann nur schwer bis gar nicht aus der Öffentlichkeit wieder vollständig entfernt werden. Daten sind frei kopierbar, und dies wird auch immer wieder nach Belieben und Beliebtheit der Daten geschehen. Führe dir das immer vor Augen, bevor du etwas veröffentlichst. Rechne daher damit, dass jede Veröffentlichung endgültig ist.

Auch wenn private Daten bereits öffentlich sind, verbreite sie nicht dem ausdrücklichen Wunsch des Betroffenen zuwider weiter, es sei denn, es besteht ein berechtigtes Interesse daran.

Sollten private Daten gegen den Wunsch eines Betroffenen oder aus Versehen veröffentlicht worden sein, respektiere die Bitte des Betroffenen, sie nicht weiter zu verbreiten. Eine Ausnahme ist auch hier im Einzelfall das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit.

Jeder Mensch hat das Recht, öffentliche Daten zu nutzen und zu verarbeiten.

Öffentliche Daten dürfen von jedem genutzt werden. Sie sind eine unendliche, und jedem zur Verfügung stehende Ressource, eine Quelle für Wissen und Erkenntnis. Durch das Vernetzen verschiedener Datenquellen lassen sich viele neue Dinge erschaffen, die der Allgemeinheit nutzen können.

Deine Daten können Gutes schaffen. Entziehe sie nicht der Allgemeinheit, wenn sie deine Privatsphäre nicht bedrohen.

Du hast zwar die Freiheit über deine Daten zu bestimmen, aber bedenke dabei die damit einhergehende Verantwortung, sie wenn möglich zum Wohle der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Enthalte daher deine Daten der Öffentlichkeit nicht nur aus Prinzip vor, sondern nur, wenn der Schutz deiner Privatsphäre es erfordert.
Nimm als Beispiel die Diskussion um Google StreetView: Zeigt dich ein aufgenommenes Bild in einer peinlichen Pose oder könnte es dich in eine missliche Situation bringen, so hast du ein berechtigtes Interesse daran, dass dieses Bild gelöscht wird. Aber überlege dir, ob es wirklich deine Privatsphäre gefährdet, wenn ein Foto der Außenwand deiner Wohnung veröffentlicht wird, die ohnehin jeder anschauen kann. Ist nicht vielleicht der Nutzen für die Allgemeinheit ungleich größer, auf diese Daten zugreifen zu können?

Fordere nichts Unmögliches.

Auch wenn du grundsätzlich frei über deine Daten entscheiden darfst, mache dir klar, dass es technische und soziale Grenzen bei der Umsetzung deiner Entscheidung gibt. Beachte dies und stelle dich darauf ein.

Verzeihe, wo du nicht vergessen kannst.

Auch das Netz kann vergessen, aber es vergisst wenig. In diesem Rahmen muss eine Gesellschaft mehr verzeihen um den sozialen Frieden zu wahren und eine Rehabilitation zu ermöglichen. Jeder Mensch macht Fehler – je offener wir mit unseren eigenen Fehlern und Fehlern anderer umgehen können, desto besser können wir alle aus ihnen lernen.

UNTERZEICHNER

  • Benjamin Siggel
  • Michael Vogel

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Podiumsdiskussion „Privatsphäre vs. Öffentlichkeit“

Am 02. und 03. Oktober findet in Kassel die openmind 2010 statt, eine Konferenz mit angeschlossenem Barcamp für Netzpolitiker, -aktivisten und –philosophen.

Ich werde dort an der Podiumsdiskussion „Spannung zwischen Privatssphäre und Öffentlichkeit“ teilnehmen. Wo hört Privatsphäre auf und wo fängt Transparenz und öffentliches Auftreten an? Dieses Spannungsfeld wird derzeit auch in der Piratenpartei rund um das Tool Liquid Feedback vehement diskutiert.

Transparenz und Datenschutz sind für mich kein Widerspruch. Seit jeher fordert die Piratenpartei einen transparenten Staat, statt gläserne Bürger. Ebenso fordere ich eine transparente Partei, statt gläserne Piraten. Die politische Meinung eines jeden Bürgers bedarf eines besonderen Schutzes. Dieser Schutz ist wesentliche Voraussetzung für die freie und ungezwungene Meinungsäußerung ohne Überwachungsdruck.

Mit mir diskutieren Werner Hülsmann, Datenschutzaktivist und externer Datenschutzbeauftragter der Piratenpartei, der Post-Privacy Aktivist Christian Heller aka plomlompom und Bastian Greshake von den Piraten NRW. Ich freue mich auf eine zielgerichtete, konstruktive und bereichernde Debatte.

Irrtum der Woche: Demonstrieren bringt doch nix

Am Samstag findet die erste große „Freiheit statt Angst“-Demo für Datenschutz und Bürgerrechte in Mainz statt.

Immer wieder bekomme ich von Leuten dabei zu hören, dass demonstrieren doch eh nichts bringe. Dabei stelle ich regelmäßig fest, dass diese Leute mit einer völlig falschen Erwartungshaltung an das Thema Demonstrationen heran gehen. Natürlich werden nicht plötzlich in Berlin Gesetze neu gefasst oder fallen gelassen, weil ein paar tausend Leute auf die Straße gehen.

Das Ziel von Demonstrationen ist vielschichtiger. Demos entfalten ihre Wirkung auf mehrere Weisen. Drei davon (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) möchte ich an dieser Stelle kurz erläutern.

1) Außenwirkung

Ungeachtet dessen, dass eine Demonstration bei den betreffenden Politikern meist wenig Beachtung findet, erzeugt sie dennoch Aufmerksamkeit. Mindestens die Passanten werden davon mitbekommen. Dadurch, dass eine Demo im Vorfeld beworben wird, lenkt dies die Aufmerksamkeit schon im Vorfeld auch andernorts auf die jeweiligen Themen. Mit etwas Geschick, bekommt auch die Presse davon Wind und die Berichterstattung sorgt noch nach der Demo dafür, dass die Themen in der Öffentlichkeit beachtet werden. Summa summarum führt eine Demo also dazu, dass Menschen mit den Themen in Kontakt kommen und sich ggf. damit näher auseinandersetzen, die dies nicht von sich aus täten.

2) Innenwirkung

Ich persönlich halte die Innenwirkung sogar für wichtiger als die Außenwirkung. Durch eine Demo wird Gleichgesinnten verdeutlicht: Es gibt noch mehr Menschen, denen diese Themen wichtig sind – ich bin nicht allein. Leute die sich schon zuvor für die Themen einsetzten, werden motiviert und in ihrem Handeln gestärkt. Gleichzeitig bietet eine Demo sehr gute Möglichkeiten neue Kontakte zu knüpfen, alte Kontakte aufrecht zu erhalten und sich zu vernetzen. Regelmäßige Demos sind Motor und Antrieb einer lebendigen politischen Bewegung.

3) Demos als Teil eines großen Ganzen

Weiterhin dürfen Demonstrationen nicht isoliert betrachtet werden. Sie sind Teil eines „größeren Ganzen“. Die Wirkung von Demonstrationen allein ist in der Tat beschränkt, jedoch entfalten sie in Kombination mit weiterem politischen Engagement ihr volles Potential. Die „Freiheit statt Angst“ Demos zum Beispiel sind Ausdrucksform einer ganzen Bürgerrechtsbewegung. Dahinter steht viel mehr, als ein paar Leute die ab und an auf die Straße gehen. Eine Demo ist quasi die Manifestation dieser Bewegung. Einer Bewegung, die aktiv Bürgerlobbyismus betreibt, die öffentliche Debatte anheizt und viele weitere politische Aktionen und Maßnahmen eingeleitet hat, nicht zuletzt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten: Die Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung. Demonstrationen liefern einen Beitrag um dieser Bewegung Ausdruck zu verleihen, sie sind wichtig als Referenz und Argumentationgrundlage. Demonstrationen liefern damit einen wichtigen Beitrag, mit den jeweiligen Themen Gehör zu finden. Es mag ein langer, mühsamer Weg sein – aber es funktioniert.

Deshalb freue ich mich über jeden, der am Samstag an der Demonstration „Freiheit statt Angst“ in Mainz teilnimmt. Gehe für das, was dir wichtig ist, auch mal auf die Straße!

Über weitere Gründe, warum Demonstrationen wichtig sind, freue ich mich in den Kommentaren.