The Web is the Social Network

Wir müssen monolithische, zentralisierte Social Networks hinter uns lassen. Sie widersprechen dem Gedanken der informationellen Selbstbestimmung und sind gleichzeitig anfällig für Zensur und Manipulation. Soziale Netzwerke sind nicht das Web. Sondern das Web ist ein großes, dezentrales soziales Netzwerk – wenn wir unsere Daten befreien und uns unabhängig von großen Anbietern vernetzen.

Die Einzäunung des Webs

Das World Wide Web ist eine ziemlich coole Erfindung. Wir alle können mitmachen, indem wir unsere Inhalte beisteuern. Diese Inhalte lassen sich untereinander verlinken. Die Links sind das, was das Web zu einem Web macht.

Die Idee des Webs, als miteinander durch Links verwobene Inhalte wird zunehmend durch Social Networks pervertiert. Wer zum Beispiel bei „Wer-kennt-wen“ auf einen externen Link klickt, bekommt folgende Warnmeldung präsentiert:

„Achtung, Sie verlassen jetzt die heile Welt von wer-kennt-wen.de“

Du hast gerade auf einen Link geklickt, mit dem Du die Seiten von wer-kennt-wen.de verlässt.

Es lässt sich beobachten, wie Social-Network-Dienste zunehmend das Web vereinnahmen, statt daran zu partizipieren.

Facebook und Co. versuchen die Nutzer möglichst lange auf der eigenen Website zu binden. Schließlich verdienen die Betreiber durch zielgerichtete Werbung eine Menge Geld. Je länger die Nutzer sich dort aufhalten, desto mehr erfahren die Betreiber über den Nutzer, desto zielgerichteter kann die Werbung werden und desto mehr Geld kann man damit verdienen.

Bei Facebook finden sich keine derart skurillen Warnmeldungen, es vereinnahmt das Web auf eine subtilere Art und Weise. Facebook versucht die „Links nach draußen“ so lange wie möglich innerhalb der Plattform zu halten. Fotos, Videos und die ersten Zeilen von Artikeln können betrachtet werden, ohne die Plattform zu verlassen. In Form von „Interessen“ stellt Facebook oftmals ganze Wikipedia-Artikel in seiner Plattform ein. Die  Möglichkeit zu „Liken“ und zu „Sharen“ machen die Rückkehr zu Facebook attraktiv, wenn doch einmal ein Link hinaus führt.

Facebook macht uns das Leben bequem. Es dient uns als Kommunikationszentrale, als News-Dienst, als Möglichkeit interessante Inhalte und Menschen zu finden. Daran ist nichts verwerflich.

Jedoch geht schleichend die ursprüngliche Idee eines dezentralen Webs aus miteinander verlinkten Inhalten verloren. Wer auf Facebook und Co. Texte und Bilder teilt, der veröffentlicht diese nicht im Web, sondern auf einer geschlossenen Plattform. Plattformen, die das Web so sehr vereinnahmen, dass „Digital Natives“, die mit Social Networks groß geworden sind, oft gar nicht mehr den Unterschied zwischen Facebook und dem World Wide Web (geschweige denn dem Internet jenseits des WWW) kennen. Facebook ist das zentrale Element der Internetnutzung geworden.

Diese Vereinnahmung geht in Form von „Social Plugins“ auch über die Grenzen der eigentlichen Plattform hinaus. Man könnte meinen, dass sich Facebook auf diese Weise dem Rest des Webs öffnet. Es ist jedoch so, dass sich der Rest des Webs auf diese Weise gegenüber Facebook öffnet. Facebook diktiert die API, d.h. die Art und Weise wie die Webdienste und andere Programme mit der Plattform kommunizieren.

Und hier sind wir beim Kern des Problems angelangt: Die Dienste kommunizieren mit Facebook. Sie kommunizieren nicht untereinander. Zumindest ist die Kommunikation zwischen anderen Webdiensten marginal im Vergleich zum Einfluss des Social Networks und im Vergleich zu dem Social Web wie es sein könnte (dazu gleich mehr).

Das heutige Web ist gar nicht sozial. Dies hat Jeff Sayre sehr schön in seinem Artikel „The Web is Not (yet) Social“ beschrieben:

The Web is currently not social. It’s the metaspace analogy of meatspace nightclubs. It’s filled with private social silos, which are antithetical to the Web’s vision. Each private social island is an internal network consisting of tightly-controlled infrastructure that offers its own vision of how humans should connect and interact.

Wer nicht auf Facebook ist, kann meine dort eingestellten Bilder nicht sehen, sich nicht digital mit mir „anfreunden“ oder meine Status-Updates kommentieren. Was, wenn sowohl meine Freunde bei Facebook, als auch meine Bekannten bei wer-kennt-wen die Bilder sehen sollen? Dann muss ich die Fotos zweimal hochladen – oder ich muss mich für eine Plattform entscheiden.

Letzteres ist das, was tatsächlich passiert. Nutzt eigentlich noch jemand wer-kennt-wen? Und gibt es die VZ-Netzwerke noch?

Den eingangs erwähnten Weiterleitungs-Hinweis sehe ich immer seltener. Viele meiner Freunde kommunizieren nur noch über Facebook. Manche machen sich die Mühe, mehrere Accounts zu pflegen, aber es werden immer weniger. Die Accounts in anderen Netzwerken verwaisen, was weitere Nutzer bewegt, das entsprechende Netzwerk zu verlassen.

Ein Teufelskreis – jedoch einer, den die Netzwerke selbst zu verantworten haben. Im Wettbewerb untereinander abgeschotteter Plattformen können nur einige wenige gewinnen. Doch der Dumme ist am Ende der Nutzer. So bequem uns Facebook das Leben auch machen mag: wir erleben gerade eine Monopolisierung & Zentralisierung unserer Kommunikation und begeben uns in Abhängigkeit einiger weniger, großer Anbieter.

Diese Zentralisierung öffnet der Manipulation und Zensur Tür und Tor. Sie entmündigt uns Nutzer. Ich habe die Probleme bereits in einem anderen Artikel erörtert. Dass es sich dabei nicht um bloße Theorie handelt erläutert ein Beispiel von Sascha Lobo:

Facebook zum Beispiel kontrolliert über detaillierte Algorithmen, welche Inhalte die Nutzer zu sehen bekommen. Laut qualifizierten Schätzungen sind es nur etwa zehn Prozent der von den Kontakten eingestellten Inhalte – sonst wäre es auch zu viel. Aber welche zehn Prozent sind das, und wie genau werden sie ausgewählt? Darüber schweigt Facebook weitgehend.

Heutige Soziale Netzwerke nehmen mir die Möglichkeit selbst bestimmen zu können, was mit meinen persönlichen Daten geschieht, wer sie sehen kann und wer nicht. Die Datenschutzeinstellungen von Facebook simulieren dieses Recht nur. Die Daten liegen auf Servern des Unternehmens und sind offen für es zugänglich – ganz egal wie restriktiv ich meine Einstellungen setze.

Echte informationelle Selbstbestimmung sieht anders aus. Ein echtes „Social Web“ sieht anders aus. Wir müssen monolithische, zentralisierte Social Networks hinter uns lassen und uns unabhängig von großen, zentralisierten Anbieter vernetzen. Das World Wide Web bietet alles, was wir dazu brauchen. Es gilt nun, den Kerngedanken des Webs mit der Idee der sozialen Netzwerke zu verbinden.

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7 Gedanken zu „The Web is the Social Network“

  1. Hi!

    Sehr interessant soweit. Aber ich sehe schon zu viele Hürden für den normalen Nutzer. Zum einen ist bei MyProfile nix erklärt. Es ist mal wieder etwas von Nerds für Nerds, aber nix für den normalen DAU daheim vor seinem Windows PC. MBox sha1sum wtf? Damit kann doch keiner was anfangen.

    Wenn etwas Erfolg haben soll, dann muss es einfach sein. Und das können geschlossene Systeme wie Facebook, Google+ und Twitter bieten. Sie nehmen den Nutzer an die Hand und führen ihn in das System hinein. Daraufhin gibts Mundpropaganda und man zieht seine normalen Freunde auch auf diese Plattformen.

    Menschen sind halt einfach gestrickt und gehen den Weg des geringsten Widerstandes. Nen eigenen Friendica Server oder Diaspora Pod aufsetzen ist nun mal nicht jedermanns Sache und einfach ist es auf keinen Fall. Zumal man ja für diese Systeme dann auch die Verantwortung trägt und sich selbst um die entsprechenden Sicherheitsupdates kümmern muss. Und wenn man sich bei einem fremden Pod anmeldet, ist man im Grunde wieder nicht Herr seiner Daten, denn sie liegen auf einem System welches man nicht kontrolliert.

    Der Hauptgrund aber ist, das dort nix los ist. Und wie will man seine Freunde von einem geschlossenen System wie Facebook wegbringen zu einem solch offenen URI System, was in der Usability nicht das bietet wie Facebook und Co? Jabber Chat nutzt im Grunde keiner meiner Freunde. Indirekt ja, weil das Protokoll auch im Google und Facebook Chat benutzt wird. Ansonsten ist Jabber auch nur wieder was von Nerds für Nerds. Und die alten Chat Platformen wie MSN oder ICQ sind bei mir ausgestorben. Wenn ich meine Leute aus dem Reallife via Chat erreichen will kann ich das nur via Facebook oder WhatsApp.

    Ich hab mich auch lange gegen Facebook gewehrt, aber die Kommunikation geht leider nur noch darüber. Gruppendienste von meiner Feuerwehr werden auch nur noch via Facebook angekündigt. Zuvor gabs wenigstens die Infos noch via Mail. Früher wollte meine Wehr mal ne eigene Webseite machen. Jetzt hat sie ne Facebook Gruppe. Und alles wird darüber kommuniziert. Traurig, ist aber so.

    So gut die Absichten von dezentralen Netzwerken auch sind, so komplizierter sind sie doch für die normalen Nutzer und deswegen glaube ich dass auch dieses Projekt ein Schattendasein fristen wird.

    1. Hi, du hast natürlich recht, dass es aktuell noch nichts gibt, was für den normanen Nutzer einfach zu gebrauchen ist und das alles noch viel viel einfacher werden muss. Ich sehe aber großes Potential in der Herangehensweise, dass Web nicht nur als Plattform für ein Social Network zu nutzen, sondern die sozialen Funktionen wie „liken“ und kommentieren etc. Teil des Webs selbst werden zu lassen.

      Für Website-Betreiber ist es letzlich egal, ob sie einen Facebook-Like-Button einbauen, oder eine dezentrale Lösung. Für den Nutzer macht es aber einen großen unterschied, ob er mit einer Identität im ganzen WWW soziale Funktionen nutzen kann, oder ob er sich ständig irgendwo registrieren muss. Mittelfristig ist die dezentrale Lösung für den Nutzer somit weitaus einfacher und natürlicher. Bis dahin ist aber leider noch etwas Arbeit notwendig 🙂

  2. Ein wahnsinnig spannender Artikel! Technisch halte ich RDF, wie du es „Das Web als Social Network“ beschrieben hast, für einen guten Ansatz, solche identifizierenden URIs umzusetzen. Ich frage mich nun, ob es nicht ein Leichtes wäre, Plugins und Addons für bekannte CMS wie Joomla oder WordPress zu schreiben, die einen solchen Datensatz auch für technisch weniger basierte Leute möglich werden lassen…

      1. Und nun warte ich darauf, dass jemand „Challenge accepted!“ ruft und die Sache umsetzt 😀

  3. Hi Angelo

    super Analyse des Ist-Zustandes. Hinzufügen würde ich noch, dass es mal Foren gab. Jede kleine oder große Gruppe hat eins zu ihrem Thema aufgestellt und es gab nette Diskussionen. Diese Foren werden jetzt abgeschaltet oder verwaisen mehr und mehr, weil die Leute auf Facebook sind.

    Das führt mich zum zweiten Teil des Textes. Ich fände es schon einen Befreiungsschlag, wenn Facebook und Co. abgeschaltet werden würden. Dann gäbe es wieder selbstverwaltete Foren, die Leute würden Jabber zum Chatten benutzen, und zum Sich-Finden könnte man sich eben mal schnell in eine Namensdatenbank mit Kontaktdaten eintragen (wenn man denn per Namen gefunden werden will).

    Um Leute mit gleichen Interessen zu finden, gäbe es „ Gruppendatenbanken “ . Die unter dem Link habe ich in Drupal mal zusammengebastelt.
    Mehr brauche ich persönlich nicht, bloß blöd wenn alle anderen bei Facebook sind.

    Eine URI will ich nicht. Selbst wenn ich verschiedene Pseudonyme wähle. Dann schreibe ich unter Einem mal was Unbedachtes, und schon sind die Pseudonyme verknüpfbar.

    Eigentlich gehört persönliche Kommunikation nicht in die Hände von Facebook oder ins Netz, sondern sollte persönlich bleiben.

    Krypto hilft vielleicht.
    Wenn man wirklich mehr übers Netz machen will, dann sollte das Netz möglichst nichts von einem wissen, auch der Diaspora-Server nicht.
    Deshalb finde ich den Ansatz von Secushare sehr gut. Bloss das zu implementieren ist sehr viel Arbeit. Der Hauptentwickler programmierte schon in den 80’ern an IRC mit. Auf den Datenspuren in Dresden gab es jetzt einen Vortrag zu dem Thema. Evtl. ist er bald online.

    Das waren meine Ergänzungen und Meinungen.

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