Irrtum der Woche: Schuldig bis zum Beweis der Unschuld

Ich weiß, es ist irgendwie in Mode gekommen, die Unschuldsvermutung auf den Kopf zu stellen. Trotz allem bleibt diese überaus dreiste Behauptung von Justizministerin Zypries schlichtweg falsch:

Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe.

Hintergrund ist der, dass Internetnutzer, die auf die berüchtigten Stopp-Seiten stoßen, in Echtzeit überwacht werden sollen. Zypries behauptet nun einfach, dass diese Nutzer sich automatisch schuldig machen, kinderpornografisches Material beschaffen zu wollen. Nun gibt es aber leider diverse technische Möglichkeiten, wie ein Nutzer zufällig oder böswillig auf eine solche Seite geleitet werden kann, ohne dass er es möchte oder auch gar nur mitbekommt. Zum Beispiel durch automatische Weiterleitung, „vergiftete“ Links, eingebette Inhalte (I-Frames) und vieles mehr.

Laut Zypries soll ein Nutzer der auf die Sperrseite gelangt und somit ins Blickfeld des BKA rückt nun beweisen, dass es keine Absicht war. Er soll also seine Unschuld beweisen!

Nun besagt aber ein klitzekleiner (und scheinbar von vielen Politikern als unbedeutend eingestufter) Artikel der sogenannten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ folgendes:

Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

Dass Frau Zypries nicht weiß was ein Browser ist, das kann ich ihr durchaus verzeihen. Für soviel Inkompetenz werde ich sie einfach nicht wählen, dann sind wir quitt. Aber für soviel Ignoranz beim Thema Grund- und Menschenrechte, und das als Justizministerin … die Frau sollte sofort zurücktreten … ist ja nicht das erste Mal, dass sie so einen Unfug behauptet.

Irrtum der Woche: Es geht um den Schutz der Kinder

KinderterroristenDass Internet-Filter nicht dazu geeignet sind, Kinder vor Missbrauch zu schützen sollte mittlerweile jeder verstanden haben. Auch den Zugriff auf KiPo-Seiten kann man nicht zuverlässig unterbinden, ohne das Internet kaputt zu machen. Dass die CDU trotz allem darauf beharrt eine Zensur-Infrastruktur aufzubauen, ist ein erstes Indiz dafür, dass es der Union gar nicht um den Schutz der Kinder geht.

Diese Woche wurde es offiziell: Die Union möchte unsere Kinder nicht schützen, sondern sieht in ihnen potentielle Terroristen! Hans-Peter Uhl von der CSU bestätigte gegenüber der Berliner Zeitung, dass der Verfassungsschutz deutlich mehr Daten von Minderjährigen sammeln dürfen soll:

Damit solle eine bessere Überwachung terrorverdächtiger Minderjähriger erreicht werden

Nicht „Schutz von Kindern“, sondern „Schutz vor Kindern“ also.

Auch die SPD und die Linke sind da nicht besser: Die Rot-Rote Regierung in Berlin hat nämlich nun eine zentrale Schülerdatei beschlossen. Der Chaos Computer Club warnt und ruft zum Datenboykott auf:

Detaillierte personenbezogene Informationen über alle Kinder im schulpflichtigen Alter sollen erhoben, zentral verarbeitet und abfragbar gemacht werden âEUR“ natürlich mit umfangreichem Zugriff für Polizei und andere „Sicherheits“-Behörden. Die Datenskandale der letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sensible Informationen aus der Schülerdatei verlorengehen und von Kriminellen missbraucht werden. Der Chaos Computer Club (CCC) ruft daher alle Eltern zum Boykott der Erfassung ihrer Kinder auf, um sie vor Datenverbrechern zu schützen.

Ich empfehle dringend, diesen Boykott zu unterstützen.

Foto: HugoDeschamps / flickr.com (Lizenz: cc-by-sa)

Irrtum der Woche: Es geht um Terrorcamps

Das „Terrorcamp-Gesetz“ wird derzeit heiß diskutiert. Wer sich zum Terroristen ausbilden lässt, der muss bestraft werden, heißt es immer wieder. Doch worum geht es bei dem Gesetz wirklich, das eigentlich „Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten“ heißt? Richtig, es geht um Verfolgung. Doch Vorsicht! Genau lesen! Es geht nicht um Verfolgung von Straftaten. Es geht um „Verfolgung der Vorbereitung„!

Heribert Prantl, deutscher Jurist, Journalist und Publizist, geht in seinem Kommentar auf sueddeutsche.de genauer darauf ein:

Das Gesetz wird landläufig Terrorcamp-Gesetz genannt, weil mit ihm angeblich die Leute gepackt werden sollen, die sich dort ausbilden lassen. Davon findet sich im Gesetzestext kein Wort. […] Unter Strafe gestellt wird die noch nicht konkrete Vorbereitung von noch nicht konkreten Straftaten.

Die Strafvorschriften seien für eine rechtstaatliche Verurteilung völlig unbrauchbar, erklärt Prantl. Es ginge aber auch um etwas ganz anderes:

Der Gesetzgeber weiß, dass es zu einer Bestrafung der angeblich gefährlichen Person nach dem neuen Gesetz nicht kommen wird; aber das ist ihm ziemlich egal. […] Die zu einer rechtsstaatlichen Verurteilung untauglichen Strafvorschriften werden deshalb geschaffen, weil der Staat zur Verfolgung dieser neuen nebulösen Delikte das schwere Instrumentarium der Strafprozessordnung auspacken kann: Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, Lauschangriff, Hausdurchsuchung bei Kontaktpersonen, Kontrollstellen auf Straßen und Plätzen, Vermögensbeschlagnahme, Verhaftung und Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr. Die schwersten denkbaren Maßnahmen und Grundrechtseingriffe werden also auf allerdünnstes Eis gestellt.

Ein gefährlicher Rhetoriker

Audimax der Uni Karlsruhe während Schäubles RedeWie versprochen gibt es jetzt hier noch einen kleinen Überblick über Schäubles Rede an der Uni Karlsruhe. Wirklich viel Neues hatte er nicht zu bieten: Nur die üblichen Scheinargumente, Verharmlosung und Verdrehung von Tatsachen, ausgeschmückt und aufgelockert durch Anekdoten und kleine Witzeleien. Dabei entsteht eine gefährliche Mischung, die ihn selbst für Kritiker zeitweilig sympathisch erscheinen lässt.

Ich gehe hier nicht auf alle seine falschen Thesen und Behauptungen im Detail ein. Das wurde und wird schon an anderen Stellen im Netz zu genüge getan. Sollte es dennoch zu dem ein oder anderen Punkt Diskussionsbedarf geben, äußert das bitte in den Kommentaren. Ich werde gerne darauf antworten.

Die Globalisierung

Alle Teile der Welt sind von der Globalisierung betroffen – dies bringe neue Anforderungen an die Sicherheit, sagt Schäuble. So weit so unkonkret. Konkreter: Es stimme, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt würde. Darauf folgten laute „Pfui!“ Rufe aus dem Publikum. Interessant ist wie Schäuble darauf reagierte:

„Ich versuche es zu erklären“

Ein geübter Rhetoriker lässt sich von sowas nicht aus dem Konzept bringen. Es blieb aber tatsächlich bei einem Erklärungsversuch, viel Inhalt konnte ich seinem Gerede über deutsche und europäische Interessen nicht abgewinnen.

Die Diktatoren und das Internet

Interessant fand ich Schäubles These, Diktatoren könnten sich dank des Internets nicht mehr abschotten. Da gebe ich ihm Recht! Das Netz ist die Chance überhaupt, für eine weltweite Demokratisierung und globalen, freien Meinungsaustausch. Doch warum um Himmels Willen, versucht man dann das Netz immer stärker zu kontrollieren und zu überwachen? Schäuble postulierte, der „Regulierungsbedarf“ für das Internet werde größer. Da erscheint es mir eher so, dass es ihm ein Dorn im Auge ist, dass man sich als Diktator nicht mehr abschotten kann…

Die diffamierende Datenschutzdebatte

Der Binnenmarkt lag Schäuble sehr am Herzen: Die Öffnung nach innen erfordere aber eine stärkere Kontrolle nach außen. Es sei ärgerlich, dass die dazu geforderten „Sicherheitssysteme“ in Datenschutzdebatten immer wieder diffamiert würden. Er zeigte sich auch verständnislos, dass wir in Deutschland „immer alles gleich verfassungsrechtlich“ diskutieren.

Herr Schäuble, wenn die Gesetze der Regierung nicht ständig bis an die Grenze unserer Verfassung und darüber hinaus gingen, dann müssten wir auch nicht ständig „verfassungsrechtlich diskutieren“. Öffentliche Debatten sind im Übrigen ein Fundament unserer Demokratie. Deren Notwendigkeit in Frage zu stellen, zeugt davon wie wenig unser Innenminister davon wissen will.

Verfassungswidrig: Das sind die anderen

Doch Herr Schäuble versteht es, sich rhetorisch in ein gutes Licht zu rücken. Das Luftsicherheitsgesetz zum Beispiel, hätte ja die frühere rot-grüne Regierung zu verantworten. Er hätte ja gleich gesagt, das sei verfassungswidrig!

Das Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens führte erstmals in Deutschland Online-Durchsuchungen ein. Es sei laut Schäuble nur deshalb vom Bundesverfassungsgericht gestoppt worden, weil es „schlampig verarbeitet“ gewesen sei. Das BKA-Gesetz mache natürlich alles besser und sei verfassungsrechtlich absolut sauber. Schließlich habe der Gesetzgeber schon 2006 die „Abwehr einer grenzüberschreitenden Gefahr“ in die Hände des Bundes gelegt. Die Kritiker hätten diesen Punkt zunächst übersehen und sich dann in „Betroffenheitserklärungen“ verflüchtigt, als „sie ihren Irrtum erkannt“ haben. Plötzlich behauptete Schäuble auch, dass „alles natürlich nur mit Richter“ möglich sei, ungeachtet dessen, dass dies zunächst in der Eilfallregelung des BKA-Gesetzes nicht vorgesehen war.

Verbrecher: Das sind die anderen

Der Staat sei auch gar nicht die eigentliche Gefahr für das Grundgesetz: Nein, vielmehr sei das die Wirtschaft! Er müsse sich ja vorsichtig ausdrücken, aber die Bahn zum Beispiel verstieße vermutlich gegen geltendes Recht.

Schlechte Menschen gebe es immer und überall, daher könne er auch nicht ausschließen, dass ein Polizist illegal von Online-Durchsuchungen Gebrauch macht. Das sei dann aber ein Gesetzesverstoß, der verfolgt wird wie jeder andere auch.

Der Mythos der Alternativlosigkeit

Der berüchtigte „Mythos der Alternativlosigkeit“ war natürlich auch in Schäubles Rede mit dabei. Schäuble macht ihn sich zu nutze, um seine Politik als die einzig richtige darzustellen.

Weder die Generalprävention, noch die Kriminalprävention könnten einen Selbstmordattentäter von seiner Tat abhalten, behauptet Schäuble. Die einzige (!) Chance sei es daher „von Straftaten zu erfahren, bevor sie verwirklicht werden“. Eine nähere Erklärung folgte nicht. Dieses Postulat blieb so im Raum stehen.

Dr. Schäuble erzählt Geschichten

Schäuble versteht es, seine Rede durch kurze Geschichten und lustige Bemerkungen aufzulockern. Er schafft es damit den unkritischen Zuhörer und selbst unvorbereitete Kritiker auf seine Seite zu ziehen oder zumindest Sympathie zu erzeugen. Deshalb halte ich diese gezielt und bewusst platzierten Elemente seiner Rede für noch gefährlicher als jede falsche oder verharmlosende Behauptung.

Er könne ja schließlich nicht Schlauchboote in den Kampf gegen Piraten schicken. Und die Polizei könne auch nichts gegen einen Bombenangriff aus der Luft unternehmen, genausowenig wie die DLRG.

Solche Bemerkungen rufen beim Zuhörer mindestens ein Lächeln hervor, vielleicht sogar Zustimmung, obwohl der Vergleich völlig an der Realität und der Sache vorbei geht. Der Trick ist der, beim Zuhörer Sympathie zu erzeugen. Mit nichts geht dies leichter, als mit einem lockeren Witz. Die Sachlichkeit fällt dabei zunächst unter den Tisch, während der Zuhörer aufgeschlossener und unkritischer gegenüber dem Redner wird. Schäuble weiß das und macht es sich zu nutze. Das macht ihn so gefährlich.

Fragerunde

Die „Fragerunde“ war ein Witz. Darauf werde ich in einem separaten Artikel eingehen.

Weiterführende Links

Verfassungsanspruch und Verfassungsbruch

Stasi 2.0Unser geliebter Minister für Staatssicherheit und Verfassungsbruch, Dr. Wolfgang Schäuble, wird am Donnerstag in Karlsruhe zu uns sprechen. Das Thema: „60 Jahre Grundgesetz: Verfassungsanspruch und Wirklichkeit“

Ich kann den Titel so oft lesen wie ich will, ich lese immer „Verfassungsbruch“, statt „Verfassungsanspruch“. Woran liegt das?

Hier die genauen, vom Ministerium für Wahrheit verifizierten Daten:

Universität Karlsruhe
Audimax, Geb. 30.98, Straße am Forum 1.
Beginn: 17h00
Einlass: 16h30

Beschreibung: (Vorsicht Neusprech!)

Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes hat sich unsere Gesellschaft in vielen Lebensbereichen verändert: Die Auswirkungen der Globalisierung z.B. auf die Wirtschaft, Sozialsysteme und die weltweite Migration stellen auch die Sicherheitspolitik vor neue Herausforderungen. Die Abschaffung europäischer Binnengrenzen erfordert einen staatsübergreifenden Informationsaustausch, damit der Zugewinn an Freiheit nicht in den Verlust an Sicherheit mündet. Neue Formen der Kriegsführung sowie neue Waffentechnologien sind weitere Herausforderungen an die Sicherheitspolitik, die nicht innerhalb einer Landesgrenze gelöst werden können. Bei Streitfragen wie dem Luftsicherheitsgesetz geht es nicht mehr um âEUR?innen oder außenâEURoe, sondern um die Qualität der Bedrohung, so Minister Schäuble. Welche Rechtsinstrumente sollte die Polizei bei der Strafverfolgung angesichts technologischer Weiterentwicklung haben? Wie wird gleichzeitig die Notwendigkeit von Datenschutz gewährleistet?

Und natürlich gibt es auch eine Extraportion „Sicherheit“:

Aus Sicherheitsgründen müssen Mäntel, Jacken, große Taschen und Rucksäcke an der Garderobe abgegeben werden. Die Garderobe ist während der gesamten Veranstaltung beaufsichtigt. Auch Getränke und Essen dürfen nicht in den Vortragssaal mitgeführt werden. Für diese Sicherheitsmaßnahmen bitten wir um Verständnis.

Hilf mit das BKA-Gesetz zu kippen

Es sieht so aus, als müsste ich meine Einschätzung schon korrigieren und das BKA-Gesetz wird nicht vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Derzeit bahnt sich an, dass es bereits im Bundesrat scheitert. Alle Bundesländer in denen die Linke, die Grünen oder die FDP mit in der Regierung sitzt haben werden sich enthalten, da die Koalitionen keinen gemeinsamen Nenner finden. Damit entsteht eine hauchdünne Mehrheit von 35 zu 34 Stimmen für das BKA-Gesetz. Mittlerweile hat sich aber auch die SPD in Sachsen und Schleswig-Holstein, die in diesen Ländern in einer großen Koalition mit der CDU regiert, aber ebenfalls quer gestellt. Das wäre ein schneller Tod für Schäubles Lieblingskind. Auf die dünne Mehrheit sollten wir uns aber nicht verlassen. Mit ein bisschen Lobbyarbeit lässt sich die SPD vielleicht auch in anderen Ländern überzeugen. Insbesondere Rheinland-Pfalz, wo die SPD alleine regiert, zählt zu den noch unentschlossenen Ländern. Der SPD-Fraktionschef Rheinland-Pfalz hat sich bereits kritisch gegenüber der Online-Durchsuchung geäußert. Jetzt gilt es die Regierung zu überzeugen im Bundesrat gegen das Gesetz zu stimmen, oder sich wenigstens zu enthalten (was de-facto das gleiche ist). Im Wiki des AK-Vorrat werden Anschreiben vorbereitet die du verwenden kannst um die Mitglieder der Landesregierungen anzuschreiben. Noch mehr kann ein persönlicher Anruf bewirken. Dabei gilt wie immer: Freundlich bleiben und sachlich argumentieren.

Update: Das ging ja schneller als ich dachte. Tagesschau.de berichtet:

Nach Sachsen und Schleswig-Holstein regt sich jetzt in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Berlin Widerstand.

Schäuble ist richtig motzig:

Wenn die Länder das BKA-Gesetz jetzt verhindern, dann bleiben sie eben für die Abwehr der Gefahren aus dem internationalen Terrorismus verantwortlich.

Noch trotziger, beinahe kindisch, reagierte aber Hans-Peter Uhl:

Die Bundes-SPD hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Unsere Gesprächspartner waren ja nicht irgendwelche Wichtigtuer aus Sachsen, sondern Profis.

Das „Best of“ seiner Aussagen zum Thema gibts bei netzpolitik.org

Der Anfang vom Ende des BKA-Gesetzes

Disclosure: Ich bin Mitglied der Piratenpartei

Ich behaupte jetzt einfach mal, dass sich das BKA-Gesetz in die Lange Liste der vom Bundesverfassungsgericht gekippten Überwachungsgesetze einreihen wird. Bereits kurz nachdem der Bundestag das Gesetz heute mit 375 Ja zu 168 Nein Stimmen verabschiedet hat, kündigte die Bürgerrechtlerin Twister Verfassungsbeschwerde an:

Wir sind zuversicherlich, dass auch hier das Bundesverfassungsgericht den immer stärker werdenden Überwachungs- und Kontrollbegierden der Regierung sowie der Behörden einen Riegel vorschieben wird. Das BKA-Gesetz stellt einen schweren Einschnitt in die Freiheit innerhalb Deutschlands dar, für die es sich (nicht nur juristisch) zu kämpfen lohnt.

Die Piratenpartei hat ihr sogleich Unterstützung zugesagt:

Die Piratenpartei sieht das BKA-Gesetz als einen schweren Angriff auf die Freiheit an und begrüßt daher die Ankündigung des Parteimitglieds Bettina Winsemann alias „Twister“, Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einzulegen. […] Neben der Unterstützung der Verfassungsbeschwerde ruft die Piratenpartei auch weiterhin die Bevölkerung auf, sich von der Angst vor dem Terrorismus zu lösen und aktiv für mehr Freiheit und die Bewahrung der Bürgerrechte zu engagieren. Bürger und Staat müssen besonnen auf Bedrohungen reagieren und nicht in Hysterie und Panik den Blick für das Wesentliche verlieren.

Ich glaube zwar nicht, dass das Gesetz vollständig gekippt wird, aber die besonders kritischen Teile werden wohl rausfliegen. Die Online-Durchsuchung musste das BVerfG ja schonmal entsorgen, mal gespannt was die Richter zu den stark erweiterten exekutiven und präventiven Befugnissen sagen.

Neues zu Vorratsdaten und Online-Durchsuchung

Zum Thema Überwachung gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Die Bundesregierung hat sich gestern auf einen Entwurf des neuen BKA-Gesetzes geeinigt. Der Entwurf beinhaltet weitreichende Befugnisse für das BKA, die kaum einer Kontrolle unterliegen. Die lange Liste der Probleme gibt es auf daten-speicherung.de.

Besonders brisant sind weiterhin die heimlichen Online-Durchsuchungen. Schon die Tatsache, dass diese heimlich erfolgen widerstrebt dem rechtsstaatlichen Gedanken. Problematisch ist insbesondere, dass sich das BKA selbst kontrolliert. Statt einem Richter werden die ermittelten Daten von zwei Kriminalbeamten begutachtet. Zwar konnte die SPD durchsetzen, dass außerdem noch der Datenschutzbeauftragte der Behörde mit draufschaut, aber das erscheint mir als Augenwischerei und wird kaum dazu reichen, Missbrauch zu verhindern.

Leider ist die Gefahr-im-Verzug-Regelung immer noch mit drin. Dadurch kann im „Eilfall“ die richterliche Genehmigung vorerst ausbleiben. Warum es bei einer technisch angeblich so lange vorbereiteten Maßnahme eine Regelung für den Eilfall bedarf ist mir schleierhaft. BKA-Chef Ziercke brachte diesen Widerspruch auf den Punkt, als er darauf hinwies, dass jede Online-Durchsuchung ein „sorgfältig programmiertes Unikat“ sei, während er gleichzeitig die Wichtigkeit der Eilbefugnis betonte.

Die neu hinzugekommene Befristung bis 2020 kann ich nur als schlechten Scherz betrachten. Wenn sich die Online-Durchsuchung jetzt durchsetzt, wird keine Frist mehr einen zukünftigen Einsatz verhindern, insbesondere wenn diese so weit in der Zukunft liegt. Bleibt zu hoffen, dass die Online-Durchsuchung abermals vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird. Nach der Entscheidung zu der Regelung in NRW habe ich daran kaum Zweifel.

Auch die heutige Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung lässt hoffen: Die Verfassungsrichter haben die Maßnahme weiter eingeschränkt. Die Entscheidung vom März wurde bereits im September um 6 Monate verlängert. Zwischenzeitlich gab es jedoch Änderungen im bayerischen Polizei- und Verfassungsschutzrecht, die den Geheimdiensten Zugriff auf die Vorratsdaten gestatten. Der neue Entscheid des Bundesverfassungsgerichts schiebt dem nun einen Riegel vor. Gleichzeitig wurde die Beschränkung um 6 Monate verlängert.

Update: Der von der großen Koalition beschlossene Kompromiss zum BKA-Gesetz liegt netzpolitik.org vor.

Scheinargumente, Verharmlosung, Verdrehung

Schäubles Kritiker werden gewonheitsmäßig mit dem Kopf schütteln, wenn sie ein Interview lesen, wie das kürzlich bei taz erschienene. Es ist beeindruckend, aber auch beängstigend wie sich der Innenminister immer wieder aus einer sachlichen Diskussion um Bürgerrechte und Datenschutz herauswindet und gleichzeitig seine Gegner als naiv darstellt.

In einem zweiteiligen Telepolis-Artikel erörtert Michael Lohmann wie Wolfgang Schäuble gezielt mit Scheinargumenten arbeitet und seine wahren Absichten rhetorisch verschleiert.

Im ersten Teil geht Lohmann darauf ein, wie Schäuble das Thema Bürgerrechte geschickt umschifft und entlarvt dessen falsches Verständnis von Datenschutz. Er legt dar, wie der Innenminister die Frage nach dem Datenschutz auf eine Frage nach der Handlungsfähigkeit des Staates zurückstutzt und sein eigentliches Ziel, den Handlungsspielraum der Polizei zu erweitern, geschickt kaschiert.

Für die öffentliche Debatte folgert Lohmann daraus

dass der Innenminister bei diesem Thema gestellt werden muss, indem seine Scheinargumente offen dekonstruiert werden. Schäuble muss gezwungen werden, seine Lippenbekenntnisse bezüglich der Bürgerrechte aufzugeben und die Diskussion anhand konkreter Fälle und auf der Basis klarer Bestimmungen von Bürgerrechten zu führen

Im zweiten Teil seiner ausführlichen Analyse erklärt Lohmann, wie Schäuble staatliche Überwachung verharmlost indem er wichtige Fakten und Zusammenhänge auslässt. Er legt dar, wie Schäuble konkrete Gefährdungen des Lebens und der Gesundheit mit der Gefährdung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit vermischt und welche rhetorischen Tricks er dabei anwendet um von den tatsächlichen Grundrechtsgefährdungen abzulenken.

Abschließend befasst er sich mit dem Nutzen der Kritik an Schäuble.

Fazit: Absolut lesenswert.

Hier nochmal die Links:
Teil 1: Wie der Bundesinnenminister das Thema Bürgerrechte umgeht und was ihn wirklich interessiert
Teil 2: Wie der Bundesinnenminister mit fingierten Zusammenhängen Propaganda macht

Zehntausende demonstrierten für „Freiheit statt Angst“

Die Demonstration für „Freiheit statt Angst“ hat sich wieder selbst übertroffen: Schon letztes Jahr wurde sie mit „nur“ 15.000 Teilnehmern zur größten Demonstration für Datenschutz seit 20 Jahren. Dieses mal waren es sogar mehrere Zehntausend! Zur Zeit kursieren unterschiedliche Zahlen durch das Netz und die Medien. Netzpolitik.org klärt über das Wirrwarr auf:

15.000 nennt die Pressestelle der Polizei, welche allerdings nach einem pauschalem Schlüssel zählt. Unser Verbindungsbeamte bei der Polizei berichte wiederholt von 50.000 Teilnehmern. Üblicherweise nimmt man bei Demonstrationen die von der Polizei genannte Zahl und multipliziert diese mal zwei. Wir haben zum Ende der Demonstration und vor Beginn der Abschlusskundgebung 50.000 nach draussen kommuniziert. Als diese Zahl vom Verbindungsbeamten mehrfach uns gegenüber kommuniziert wurde, wurde auf der Bühne nach dem bei Demonstrationen üblichen Verfahren verdoppelt. Die Pressetelle der Polizei bleibt leider bei 15.000 Menschen. Die eigenen Beamten vor Ort sagen mehr.

Ob es 100.000 Menschen waren, ist daher unklar. 50.000 Menschen werden aber von den meisten Teilnehmenden als sehr realistisch eingeschätzt.

Viele Medien berichten leider wieder nur über „mehrere tausend“, was natürlich richtig, aber auch offensichtlich tendenziös ist. Auch die Piratenpartei wird konsequent verschwiegen. Letzteres ist aber auch zum Teil selbstverschuldet: Noch unaufälliger verhielt sich nur die FDP. Die Demonstration wurde ganz klar von den Grünen dominiert, die mit ihrer Luftballonaktion einen Riesenerfolg hatten. Über den gesamten Demozug waren die grünen Ballons zu sehen.

Die große Teilnehmerzahl der Demo motiviert unglaublich, weiter für Datenschutz und Bürgerrechte zu kämpfen. Auf dass es nächstes Jahr noch mehr werden!