Wo liegt das Problem und was ist ein „Überwachungsstaat“?

Trotz der Enthüllungen rund um „PRISM“ stoße ich im weniger politisierten Umfeld immer noch auf Unverständnis beim Thema Überwachung und der damit verbundenen Aushöhlung demokratischer Prinzipien. Offenbar ist vielen Menschen noch nicht klar, weche Nachteile ein Überwachungsstaat hat und was einen Staat eigentlich zum Überwachungsstaat macht.

Zum Glück gibt es ein neues, sehr anschauliches Video, das die Probleme allgemeinverständlich erklärt:

https://www.youtube.com/watch?v=iHlzsURb0WI

Bitte nehmt euch kurz die Zeit es anzuschauen und verbreitet das Video!

Ägypten: Auf dem Weg zur Demokratie oder in die nächste Diktatur?

Da mein nächster Ägyptenurlaub kurz bevor steht, denke ich, ein kurzer Blick auf die politische Lage seit der Revolution wäre angebracht. Mein letzter Besuch dort war in 2008 und seitdem hat sich ja ein bisschen was getan.

Seit ich 2006 das erste Mal in Ägypten war, dort mit Einheimischen gesprochen und mich im Zuge dessen auch ein wenig mit der Geschichte und Gegenwart Ägyptens befasst habe, bezeichnete ich Mubarak unumwunden als Diktator, während westliche Medien und Politiker noch den „Präsidenten“ heuchelten.

Ich bin sehr froh, dass sich die Ägypter seiner endlich entledigt haben. Gleichzeitig sorge ich mich seit der Machtübernahme des Militärs, dass Ägypten damit in die nächste Diktatur stürzt. Denn wer einmal Macht besitzt, gibt diese nur ungern wieder ab.

Wie ist also nun die Situation in Ägypten? Einen journalistisch fundierten Hintergrundbericht kann ich nicht bieten, sondern derzeit auch nur Infos aus dem Netz zusammentragen. Also denkt selbst und recherchiert selbst, wenn ihr etwas genau wissen wollt. Wenn ich wieder zurück bin, kann ich sicher ein paar Eindrücke von vor Ort bieten, aber soweit sind wir ja noch nicht.

Regierung und Wahlen

In Ägypten regiert derzeit der  „Oberste Militärrat„, dessen Vorsitzender Mohammed Hussein Tantawi ist. Interessant ist, dass Tantawi bereits Verteidigungsminister unter Mubarak war, als enger Vertrauter des ehemaligen Diktators gilt und sich deshalb den Spitznamen „Mubaraks Pudel“ eingehandelt hat.

Nichtsdestotrotz hat die Militärregierung freie, demokratische Wahlen versprochen und für die gibt es mittlerweile Termine: 28. November 2011, 14. Dezember 2011 und 03. Januar 2012 (je nach Region). Die Volksversammlung soll dann am 17. März 2012 zum ersten Mal tagen. Präsidentschaftswahlen soll es erst nach Ausarbeitung einer neuen Verfassung geben.

Leicht ist es indessen nicht, an der Wahl teilzunehmen: Nachdem jegliche Opposition jahrzehntelang unterdrückt wurde, müssen sich zunächst einmal Parteien formieren. Die Gründung einer Partei muss gemäß Art. 7 des Parteiengesetzes dem „Committee on Political Parties“ schriftlich bekannt gegeben und Unterschriften von 5.000 (fünftausend) Gründungsmitgliedern müssen vorgelegt werden.

Grund- und Menschenrechte

Mubarak regierte seine gesamte Amtszeit lang unter Anwendung eines Notstandsgesetzes, welches fast sämtliche durch die Verfassung garantierten Grundrechte aufhob. Statt solch diktatorische Vollmachten und Einschränkungen der Freiheit aufzuheben lässt die Militärregierung das Notstandsgesetz jedoch weiter in Kraft.

Und es kommt noch härter: Die Versammlungsfreiheit wurde sogar weiter eingeschränkt!

Offenbar ist die neue Militärregierung keinen Deut besser als Diktator Mubarak. Anfang April flammten daher die Proteste neu auf und die Menschen forderten die Absetzung von Tantawi und des Militärrats. Während sich das Militär bei den Demonstrationen gegen Mubarak noch neutral zurückhielt, zeigte die Militärjunta nun ihr wahres Gesicht und ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor.

Auch die Meinungsfreiheit scheint beim Regime unbeliebt zu sein: Ein ägyptischer Blogger, welcher das Militär kritisierte wurde kurzerhand vors Militärgericht gestellt und in einem Schnellverfahren zu drei Jahren (!) Haft verurteilt. Er kritisierte unter anderem, dass der Diktator weg sei, nicht aber die Diktatur, was die Militärregierung mit ihrer Reaktion unweigerlich bestätigte.

Laut des „Hisham Mubarak Law Center“ hat die Militärjunta in nur 7 Monaten rund 12.000 (!) Zivilisten vor Militärgerichte gestellt – Mubarak 2.000 in 30 Jahren.

Eine Frage der Zeit?

Eine Demokratie sieht zweifelsohne anders aus. Aber war ernsthaft zu erwarten, dass ein Rücktritt Mubaraks sogleich zu demokratischen Verhältnissen führt? Ist die Militärregierung nicht vielmehr ein „notwendiges Übel“ um Stabilität bis zu den Wahlen zu gewährleisten und der Demokratisierung die notwendige Zeit zu geben?

Zumindest habe ich ähnliche Argumente nach dem Sturz von Mubarak gehört, als ich damals die Machtübernahme des Militärs anprangerte. Mir fällt es jedoch schwer nachzuvollziehen, wie die Inhaftierung von Kritikern und der Angriff auf Demonstranten für Stabilität und Demokratisierung sorgt.

Werfen wir trotzdem einen Blick auf die Agenda: Wahlen von November bis Januar und konstituierende Sitzung im März. Spätestens im April sollen dann in einer gemeinsamen Sitzung der Vollversammlung und der beratenden Schura 100 Leute gewählt werden, die ein verfassungsgebendes Gremium bilden. Über die entstandene Verfassung soll es eine Volksabstimmung geben. Sobald dies geschehen ist soll innerhalb von maximal 60 Tagen ein neuer Präsident gewählt werden.

Vor Mitte 2012 ist also ohnehin nicht mit einer demokratischen Regierung zu rechnen. Auch nach der Wahl zur Vollversammlung wird die Militärjunta mit den diktatorischen Vollmachten der Notstandsgesetze weiter regieren. Zwar wurde angekündigt den Ausnahmezustand noch vor den Wahlen aufzuheben, dies wurde jedoch schnell zu einem „überdenken“ und mangels konkretem Termin erscheint das ganze wie eine typische Beschwichtigung.

Ob in einem Staat, in dem praktisch jedem jederzeit die Inhaftierung drohen kann, die unabhängige Ausarbeitung einer Verfassung überhaupt möglich ist, wage ich zu bezweifeln. In den kommenden Monaten hat die Militärjunta viel Zeit, ihre Macht und ihren Einfluss weiter auszubauen und zu festigen. Man darf gespannt sein, inwieweit die neue Verfassung dieser Position in die Hände spielen wird, oder ob die sie dem Machtmissbrauch und der Willkür Einhalt gebieten wird. Einen „Präsidenten Tantawi“ der das Land in der Tradition Mubaraks weiterregiert wünsche ich den Ägyptern jedenfalls nicht.

Die Grünen und die Bürgerrechte

Immer noch wird über die Vorratsdatenspeicherung (VDS) diskutiert. Diese gigantische Datenhalde mit der damals alles begann. Die verantwortlich ist, für die Gründung des AK Vorrat und das Aufleben einer neuen Bürgerrechtsbewegung. Die Bewegung hatte Erfolg: Das Gesetz wurde vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht. Wie realistisch ist nun die Wiedereinführung der Speicherung aller Kommunikationsverbindungsdaten der Bundesbürger?

Die Position der CDU dürfte allen klar sein. Die FDP hält dagegen, aber wird sich unter dem Druck des Koalitionspartners auf Kompromisse einlassen, welche es bei den Grundrechten nicht geben darf. Auch eine 7-tägige Vorratsdatenspeicherung, wie von FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger gefordert, bleibt ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff.

Über die SPD brauchen wir gar nicht zu reden, heute hü, morgen hott und im Zweifel gegen die Grundrechte. Interessant bleibt die Position der Grünen. Der Grünen? Die sind doch ganz klar gegen die Vorratsdatenspeicherung?! Leider nein.

Ein Blick in den Koalitionsvertrag Rheinland-Pfalz (PDF), Seite 82 (Hervorhebungen von mir):

Es gibt rechtspolitische Bedenken gegen die Speicherung von Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht hohe Anforderungen in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung aufgestellt. Im geltenden rheinland-pfälzischen POG ist die Vorratsdatenspeicherung nicht vorgesehen. Diesbezügliche Änderungen werden die Koalitionspartner nur im Konsens vollziehen.

Die Grünen haben also sowas wie „Bauchschmerzen“ in Sachen VDS. Die Betonung der „hohen Anforderungen“ liest sich für mich, als sei man bereit einer Vorratsdatenspeicherung unter Beachtung dieser zuzustimmen. Der letzte Satz soll wohl einen Alleingang der SPD verhindern, jedoch befürchte ich, dass sich die Grünen dem Koalitionsfrieden zu liebe beugen werden, wenn die SPD eine Vorratsdatenspeicherung im Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG) festschreiben will. Man will ja schließlich konsensfähig bleiben.

Alles in Allem liest sich eine Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung anders. Und noch etwas fällt ins Auge: Der ganze Absatz bezieht sich aufs POG, also ein rheinland-pfälzisches Landesgesetz! Auf die Vorratsdatenspeicherung auf Bundesebene, die derzeit viel wahrscheinlicher ist, wird gar nicht eingegangen.

Wie werden sich die Grünen also bei einer Abstimmung im Bundesrat verhalten? Man könnte den Konsensgedanken auch darauf übertragen, was letztendlich bedeutet, dass sich RLP im Bundesrat enthalten wird, wenn sich SPD und Grüne über die VDS uneinig sind. Auf meine diesbezügliche Nachfrage über Twitter habe ich leider keine Antwort bekommen, obwohl die Twitterer der Grünen sonst sehr kommunikativ sind.

Noch düsterer sieht die Situation in Baden-Württemberg aus. Trotz grüner regierungsmehrheit hat sich die SPD das Innenministerium unter den Nagel gerissen und Innenminister Gall prescht weniger Tage vor der Innenministerkonferenz mit seiner Befürwortung einer sechsmonatigen Speicherung aller Kommunikationsverbindungsdaten vor. Kein gutes Bild für den Koalitionspartner, der sich in Unschuld wiegt, da dies ja gar nicht die Position der Grünen sei, sondern nur der SPD. Der Minister vertrat auf der Innenministerkonferenz jedoch die Landesregierung und nicht die SPD.

Hat Herr Gall damit gegen den Koalitionsvertrag gehandelt? Nein, denn im Koalitionsvertrag ist überhaupt keine Ablehnung der VDS verankert! Dort heißt es:

Bei der Vorratsdatenspeicherung setzen wir uns dafür ein, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts präzise einzuhalten.

Das liest sich fast schon wie eine Befürwortung. Im Bundesrat wird es im besten Fall wohl auch auf eine Enthaltung hinauslaufen.

Aber der Spaß geht noch weiter: Nicht nur in Sachen Vorratsdatenspeicherung mangelt es den Grünen an einer klaren Bekenntnis zu den Bürgerrechten, sondern auch in Sachen POG Rheinland-Pfalz gibt es klare Versäumnisse. Ich hatte mich mit dem Gesetz, welches die SPD noch schnell vor der Wahl durch den Landtag brachte, ausführlich auseinandergesetzt, auch wenn ich nur einen Teil meiner Erkenntnisse verbloggen konnte.

Jedenfalls bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Online-Durchsuchung sicher eins der größten Probleme des neuen POG ist, jedoch bei weitem nicht das einzige. Darüber hatte ich auch mit grünen Politikern gesprochen. Was sich im Koalitionsvertrag wiederfindet ist jedoch erschreckend (Hervorhebungen wieder von mir):

Online-Durchsuchungen begegnen erheblichen rechtspolitischen Bedenken. Daher vereinbaren wir, die im Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG) getroffenen Regelungen der Online-Durchsuchung zu überprüfen. Die im Paragraphen 100 POG vorgesehene qualitative Evaluierung soll bereits mit Ablauf des Jahres 2013 durch eine externe wissenschaftliche Begutachtung erfolgen. Ebenfalls evaluiert werden die Rasterfahndung und die bisher fehlende Benachrichtigungspflicht sowie die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Unabhängig von der Evaluierung wird die Frist bei der Quellen-TKÜ umgehend auf zwei Monate herabgesetzt.

Da sind sie wieder, die „rechtspolitischen Bedenken“. Zwar behandelt der Absatz einige der meiner Meinung nach schlimmsten Punkte im POG, umso erschreckender ist es jedoch, dass hier lediglich eine Evaluierung vorgesehen ist und sich die Grünen in keiner Weise dafür einsetzten, diese Regelungen wieder zu kippen oder zumindest zu entschärfen. Klar, als kleiner Koalitionspartner kann man nicht erwarten viel durchzusetzten. Es bleibt die Frage, ob eine Partei, die sich als Bürgerrechtspartei definiert, unter solchen Umständen eine Koalition eingehen darf.

Versteht mich nicht falsch, ich kenne viele Grüne persönlich und schätze sie sehr. Trotzdem können wir uns in Sachen Bürgerrechte offenbar nicht zu 100% auf die Grünen verlassen. Das muss offen aufgezeigt werden und das müssen auch diejenigen Grünen eingestehen, die sich sehr für Bürgerrechte engagieren. Gerade jene Grünen sehe ich in der Pflicht diese Entwicklung ihrer Partei offen zu kritisieren und dagegen anzukämpfen. Eine weitere Partei die ihre Prinzipien zur Wahrung der Konsensfähigkeit und des Koalitionsfriedens verkauft, braucht dieses Land nicht.

Zensursula und die Terrorbefugnisse

Oje, es geht wieder heiß her in Sachen Überwachung und (Anti-)Terrorbefugnissen. Das Netzsperrengesetz aka „Zensursula“ soll nun gekippt werden. Quasi als „Dank“ dafür will die CDU/CSU aber unbedingt die Vorratsdatenspeicherung (VDS) vorantreiben und die Terrorgesetze verlängern.

Kleiner Rückblick: Als schwarz-gelb an die Regierung kam wurde über einen verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen „Nichtanwendungserlass“ das Sperrgesetz für ein Jahr ausgesetzt. Die Frist ist nun abgelaufen und das Gesetz würde somit in Kraft treten. Nach dem 11. September 2001 hat die damalige rot-grüne Regierung zahlreiche sogenannte „Anti-Terror-Befugnisse“ verabschiedet, wie Fluggastdaten- und Kontenabfrage, Mobilfunkortung und weitere Befugnisse für BKA und Geheimdienste (Mit ein Grund, warum die Grünen für mich unwählbar sind). Diese Grundrechtseinschränkungen wurden 2007 bereits einmal für fünf Jahre verlängert. 2012 würde nun auch diese Frist ablaufen und die Union schreit abermals nach einer Verlängerung.

Die Vorratsdatenspeicherung wurde letztes Jahr vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Schmerzlich für die CDU, die nicht Müde wird die „dringende Notwendigkeit“ einer Neuauflage zu betonen, ohne je einen Nachweis zu erbringen. Ich werde derweil nicht Müde zu betonen, dass für jegliche Grundrechtseingriffe der Nachweis der Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit und Geeignetheit erbracht werden muss.

Trotzdem pokert die Union jetzt: „Wenn wir schon das Sperrgesetz kippen, dann wollen wir wenigstens bei der Vorratsdatenspeicherung und den Anti-Terror-Gesetzen unsere Position durchsetzen“, heißt es sinngemäß. Das Grundgesetz darf jedoch keine Verhandlungsmasse sein! Keine faulen Kompromisse zu Lasten der Grundrechte! Der Fall des Sperrgesetzes ist ohnehin kein Verlust für die Union, die schließlich schon damals zugab, dass es ihr um Stimmungsmache im Wahlkampf ging. Mit der vermeintlichen Opferung des Sperrgesetzes versucht die Union nun echte Beute zu machen: VDS und Geheimdienstbefugnisse! Die Sperren gibts ggf. über den Umweg EU sogar noch oben drauf – hat ja bei der VDS damals auch funktioniert.

Dass die VDS nicht einmal bei der Aufklärung von Straftaten hilft, hat derweil selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestags erkannt. Auch die von Innenminister Friedrich gewünschte Umbenennung in Mindestspeicherfrist (Neusprech lässt grüßen!) wird daran nichts ändern.

Von Seite der EU-Kommission wird derweil erfreulicher Druck auf Deutschland ausgeübt: Die Datenschutzbeauftragten müssten endlich vollständig unabhängig werden, wie es das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorsieht. Die Datenschutzbeauftragten stehen hier meist unter staatlicher Kontrolle, sind z.B. dem Innenministerium untergeordnet. Allein Schleswig-Holstein geht mit den unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz den richtigen Weg.

Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung, Überwachungsbefugnisse, Datenschutz – Die nächsten Wochen und Monate werden wieder sehr spannend, um es positiv auszudrücken.

Weihnacht statt Angst – Eindrücke aus Koblenz

Die Aktion am Samstag hat sehr viel Spaß gemacht und ist bei den Leuten gut angekommen. Am Hauptbahnhof war zwar sehr wenig los, aber mit rund 30 Leuten, davon fast alle als Weihnachtsmann verkleidet, konnten wir doch ein wenig Aufmerksamkeit erzeugen. Der Transport unserer Bombenkoffer durch den Bahnhof verlief reibungslos. Nach der Demo waren wir noch gemeinsam auf dem Weihnachtsmarkt.

Bevor ich hier lang rumrede, zeig ich lieber ein paar Bilder, die @pirat_elex geschossen hat:

Trotz der kurzen Vorlaufzeit, konnten wir noch viele Kostüme organisieren
Ein waschechter Weihnachtspirat
Ein waschechter Weihnachtspirat
Mit Süßigkeiten beklebte Flyer kamen sehr gut an - nicht nur bei Kindern
Auch verdächtige, herrenlose Koffer gab es

„Diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“

Die Vorratsdatenspeicherung war Ende 2007 der Anlass für mich, erstmals auf die Straße zu gehen. Durch sie kam ich mit Aktivisten des AK Vorrat und der Piratenpartei in Kontakt. Die Vorratsdatenspeicherung hat eine große Bürgerrechtsbewegung hervorgebracht und die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten provoziert.

Gestern wurde die Vorratsdatenspeicherung vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Alle Daten, die noch nicht an Ermittlungsbehörden weitergegeben wurden, müssen umgehend gelöscht werden. Der Provider 1&1 hat nach eigenen Angaben schon damit angefangen.

Eine Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten auf Vorrat gibt es damit in Deutschland nicht mehr. Viele Jahre haben wir dafür gekämpft. Dass das Gesetz komplett gekippt wird, habe ich zwar für möglich, aber nicht für sehr wahrscheinlich gehalten.

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, da sie geeignet ist „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann“, begründet das Verfassungsgericht. Die Umstände der Kommunikation seien ebenso schutzbedürftig wie deren Inhalt. Allerdings sei eine anlasslose Speicherung „nicht schlechthin“ mit dem Grundgesetz unvereinbar. Daher greifen die Richter die zugrunde liegende EU-Richtlinie nicht an und verweisen auch nicht an den europäischen Gerichtshof. Laut den Verfassungsrichtern sei eine verfassungskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie möglich.

Hohe Anforderungen

An die Ausgestaltung dieser Umsetzung stellen die Richter jedoch sehr hohe Anforderungen: Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren muss die Normenklarheit in Bezug auf Datensicherheit, Datenverwendung, Transparenz und Rechtsschutz gegeben sein. Datensicherheit betrifft dabei sowohl die Aufbewahrung als auch die Übermittlung und Löschung der Daten. Sicherheitsstandards müssen sich am aktuellen Stand der Technik orientieren, die Daten müssen asymmetrisch verschlüsselt werden, die Rechner vom Internet getrennt sein und ein 4-Augen-Prinzip sichergestellt werden. Der Zugriff auf und die Löschung der Daten müssen revisionssicher Protokolliert werden. Um die Transparenz zu wahren muss es zudem Informationspflichten bei Datenschutzverletzungen geben. Der Betroffene muss beim Abruf der Daten informiert werden, falls kein anders lautender richterlicher Beschluss vorliegt. Um einen sicheren Rechtsschutz zu gewährleisten hat der Zugriff zudem unter einem Richtervorbehalt zu stehen und den Betroffenen muss ein Rechtsschutzverfahren möglich sein. Verletzungen des Datenschutzes und der Datensicherheit müssen wirksam sanktioniert werden.

Eine neue Vorratsdatenspeicherung?

Da das derzeitige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung komplett für nichtig erklärt wurde, geht der Gesetzgebungsprozess nun komplett von neuem los, wenn die Regierung denn überhaupt noch eine Umsetzung wünscht. Die selbsternannte Bürgerrechtspartei FDP hätte nun Gelegenheit sich als solche zu beweisen und sich dafür einzusetzen, dass die EU-Richtlinie komplett zurück genommen wird. Wir sind in Europa nicht allein: Schweden weigert sich die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen, Österreich befindet sich immer noch im Gesetzgebungsprozess und hat sich deshalb schon ein Vertragsverletzungsverfahren eingehandelt, Rumänien hatte die Vorratsdatenspeicherung bereits letztes Jahr für verfassungswidrig erklärt.

Es ist jetzt an der Zeit, die Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene zu Fall zu bringen! Leider hat es die CDU immer noch nicht verstanden und behauptet dreist, die Speicherung sei nötig „um die Bürgerinnen und Bürger wirksam vor schweren und schwersten Straftaten schützen zu können“. Ich bin es langsam leid auf solche unsinnigen Behauptungen einzugehen… Muss ich auch nicht, steht ja alles hier.

Ich hoffe doch sehr, dass die CDU mit ihren Bestrebungen die Vorratsdatenspeicherung neu aufzusetzen alleine dasteht. Nicht alles was verfassungsrechtlich machbar ist muss auch umgesetzt werden. Zudem halte ich es für enorm schwierig die umfangreichen Rahmenbedingungen des Bundesverfassungsgerichts wirksam einzuhalten. Allein die Formulierung eines entsprechenden Gesetzes dürfte eine große Hürde darstellen. Die effektive Umsetzung der Datensicherheits- und Transparenzanforderungen in der Praxis halte ich für Utopie.

Die FDP und die Lobbyisten

Es bleibt zu hoffen, dass die FDP dem Druck der CDU standhält. Mehr Sorgen als der Einfluss der CDU, macht mir jedoch die Musikindustrie, die sich über eine Hintertür des Urteils gerade besonders freut: Für die Identifkation von Nutzern hinter einer IP-Adresse hat das Gericht nämlich deutlich geringere Hürden gesetzt. Begründet wird dies damit, dass bei einer Identifikation ja keine Vorratsdaten herausgegeben würden. Der Anbieter ermittle mittels der Vorratsdaten lediglich intern die zugehörigen Bestandsdaten. Herausgegeben würden nur Bestandsdaten, d.h. Name und Adresse des Kunden. Zudem sei für diese Anfragen weder ein Richterbeschluss nötig, noch beschränke sich der Zugriff auf schwere Straftaten. Die Abfrage von Bestandsdaten zu einer IP-Adresse sei auch bei gewichtigen Ordnungswidrigkeiten erlaubt. In der Urteilsbegründung wird sogar ausdrücklich die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen genannt.

Die FDP ist nicht gerade für eine liberale Urheberrechtspolitik bekannt. Ich bin gespannt ob sie der Verlockung widersteht eine Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen einzuführen. Ich fürchte spätestens bei diesem Stichwort wird die Partei einknicken. Vielleicht wird Frau Leutheusser-Schnarrenberger dann abermals so stark sein, von ihrem Amt zurückzutreten – nützen wird uns dies jedoch wenig.

Durchatmen und weiterkämpfen

Zunächst einmal haben wir uns jedoch Luft geschaffen. Die Vorratsdatenspeicherung ist vom Tisch und diejenigen sind im Zugzwang, die sie wieder einführen möchten. Ich habe es gestern genossen erstmals wieder vorratsdatenfrei zu kommunizieren (auch wenn das vermutlich ein Trugschluss war, da es sicher noch ein paar Tage dauern wird, bis alles abgeschaltet und gelöscht ist). Das Gesetz ist in Deutschland erstmal vom Tisch. Der AK Vorrat kündigt bereits an, nun auf europäischer Ebene weiter vorzugehen. Wir haben einen wichtigen Etappensieg errungen, den wir weiter ausbauen können. Zudem gibt es noch weitere wichtige Baustellen denen wir uns widmen müssen: Spontan fallen mir ELENA, JMStV und ACTA ein. Auch das Zugangserschwerungsgesetz ist nach der Unterschrift Köhlers wieder auf der politischen Tagesordnung. Es gibt also viel zu tun. Packen wirs an!

Weiterführende Links

Irrtum der Woche: Schuldig bis zum Beweis der Unschuld

Ich weiß, es ist irgendwie in Mode gekommen, die Unschuldsvermutung auf den Kopf zu stellen. Trotz allem bleibt diese überaus dreiste Behauptung von Justizministerin Zypries schlichtweg falsch:

Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe.

Hintergrund ist der, dass Internetnutzer, die auf die berüchtigten Stopp-Seiten stoßen, in Echtzeit überwacht werden sollen. Zypries behauptet nun einfach, dass diese Nutzer sich automatisch schuldig machen, kinderpornografisches Material beschaffen zu wollen. Nun gibt es aber leider diverse technische Möglichkeiten, wie ein Nutzer zufällig oder böswillig auf eine solche Seite geleitet werden kann, ohne dass er es möchte oder auch gar nur mitbekommt. Zum Beispiel durch automatische Weiterleitung, „vergiftete“ Links, eingebette Inhalte (I-Frames) und vieles mehr.

Laut Zypries soll ein Nutzer der auf die Sperrseite gelangt und somit ins Blickfeld des BKA rückt nun beweisen, dass es keine Absicht war. Er soll also seine Unschuld beweisen!

Nun besagt aber ein klitzekleiner (und scheinbar von vielen Politikern als unbedeutend eingestufter) Artikel der sogenannten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ folgendes:

Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

Dass Frau Zypries nicht weiß was ein Browser ist, das kann ich ihr durchaus verzeihen. Für soviel Inkompetenz werde ich sie einfach nicht wählen, dann sind wir quitt. Aber für soviel Ignoranz beim Thema Grund- und Menschenrechte, und das als Justizministerin … die Frau sollte sofort zurücktreten … ist ja nicht das erste Mal, dass sie so einen Unfug behauptet.

Irrtum der Woche: Es geht um Terrorcamps

Das „Terrorcamp-Gesetz“ wird derzeit heiß diskutiert. Wer sich zum Terroristen ausbilden lässt, der muss bestraft werden, heißt es immer wieder. Doch worum geht es bei dem Gesetz wirklich, das eigentlich „Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten“ heißt? Richtig, es geht um Verfolgung. Doch Vorsicht! Genau lesen! Es geht nicht um Verfolgung von Straftaten. Es geht um „Verfolgung der Vorbereitung„!

Heribert Prantl, deutscher Jurist, Journalist und Publizist, geht in seinem Kommentar auf sueddeutsche.de genauer darauf ein:

Das Gesetz wird landläufig Terrorcamp-Gesetz genannt, weil mit ihm angeblich die Leute gepackt werden sollen, die sich dort ausbilden lassen. Davon findet sich im Gesetzestext kein Wort. […] Unter Strafe gestellt wird die noch nicht konkrete Vorbereitung von noch nicht konkreten Straftaten.

Die Strafvorschriften seien für eine rechtstaatliche Verurteilung völlig unbrauchbar, erklärt Prantl. Es ginge aber auch um etwas ganz anderes:

Der Gesetzgeber weiß, dass es zu einer Bestrafung der angeblich gefährlichen Person nach dem neuen Gesetz nicht kommen wird; aber das ist ihm ziemlich egal. […] Die zu einer rechtsstaatlichen Verurteilung untauglichen Strafvorschriften werden deshalb geschaffen, weil der Staat zur Verfolgung dieser neuen nebulösen Delikte das schwere Instrumentarium der Strafprozessordnung auspacken kann: Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, Lauschangriff, Hausdurchsuchung bei Kontaktpersonen, Kontrollstellen auf Straßen und Plätzen, Vermögensbeschlagnahme, Verhaftung und Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr. Die schwersten denkbaren Maßnahmen und Grundrechtseingriffe werden also auf allerdünnstes Eis gestellt.

Scheinargumente, Verharmlosung, Verdrehung

Schäubles Kritiker werden gewonheitsmäßig mit dem Kopf schütteln, wenn sie ein Interview lesen, wie das kürzlich bei taz erschienene. Es ist beeindruckend, aber auch beängstigend wie sich der Innenminister immer wieder aus einer sachlichen Diskussion um Bürgerrechte und Datenschutz herauswindet und gleichzeitig seine Gegner als naiv darstellt.

In einem zweiteiligen Telepolis-Artikel erörtert Michael Lohmann wie Wolfgang Schäuble gezielt mit Scheinargumenten arbeitet und seine wahren Absichten rhetorisch verschleiert.

Im ersten Teil geht Lohmann darauf ein, wie Schäuble das Thema Bürgerrechte geschickt umschifft und entlarvt dessen falsches Verständnis von Datenschutz. Er legt dar, wie der Innenminister die Frage nach dem Datenschutz auf eine Frage nach der Handlungsfähigkeit des Staates zurückstutzt und sein eigentliches Ziel, den Handlungsspielraum der Polizei zu erweitern, geschickt kaschiert.

Für die öffentliche Debatte folgert Lohmann daraus

dass der Innenminister bei diesem Thema gestellt werden muss, indem seine Scheinargumente offen dekonstruiert werden. Schäuble muss gezwungen werden, seine Lippenbekenntnisse bezüglich der Bürgerrechte aufzugeben und die Diskussion anhand konkreter Fälle und auf der Basis klarer Bestimmungen von Bürgerrechten zu führen

Im zweiten Teil seiner ausführlichen Analyse erklärt Lohmann, wie Schäuble staatliche Überwachung verharmlost indem er wichtige Fakten und Zusammenhänge auslässt. Er legt dar, wie Schäuble konkrete Gefährdungen des Lebens und der Gesundheit mit der Gefährdung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit vermischt und welche rhetorischen Tricks er dabei anwendet um von den tatsächlichen Grundrechtsgefährdungen abzulenken.

Abschließend befasst er sich mit dem Nutzen der Kritik an Schäuble.

Fazit: Absolut lesenswert.

Hier nochmal die Links:
Teil 1: Wie der Bundesinnenminister das Thema Bürgerrechte umgeht und was ihn wirklich interessiert
Teil 2: Wie der Bundesinnenminister mit fingierten Zusammenhängen Propaganda macht