„Diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“

Die Vorratsdatenspeicherung war Ende 2007 der Anlass für mich, erstmals auf die Straße zu gehen. Durch sie kam ich mit Aktivisten des AK Vorrat und der Piratenpartei in Kontakt. Die Vorratsdatenspeicherung hat eine große Bürgerrechtsbewegung hervorgebracht und die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten provoziert.

Gestern wurde die Vorratsdatenspeicherung vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Alle Daten, die noch nicht an Ermittlungsbehörden weitergegeben wurden, müssen umgehend gelöscht werden. Der Provider 1&1 hat nach eigenen Angaben schon damit angefangen.

Eine Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten auf Vorrat gibt es damit in Deutschland nicht mehr. Viele Jahre haben wir dafür gekämpft. Dass das Gesetz komplett gekippt wird, habe ich zwar für möglich, aber nicht für sehr wahrscheinlich gehalten.

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, da sie geeignet ist „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann“, begründet das Verfassungsgericht. Die Umstände der Kommunikation seien ebenso schutzbedürftig wie deren Inhalt. Allerdings sei eine anlasslose Speicherung „nicht schlechthin“ mit dem Grundgesetz unvereinbar. Daher greifen die Richter die zugrunde liegende EU-Richtlinie nicht an und verweisen auch nicht an den europäischen Gerichtshof. Laut den Verfassungsrichtern sei eine verfassungskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie möglich.

Hohe Anforderungen

An die Ausgestaltung dieser Umsetzung stellen die Richter jedoch sehr hohe Anforderungen: Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren muss die Normenklarheit in Bezug auf Datensicherheit, Datenverwendung, Transparenz und Rechtsschutz gegeben sein. Datensicherheit betrifft dabei sowohl die Aufbewahrung als auch die Übermittlung und Löschung der Daten. Sicherheitsstandards müssen sich am aktuellen Stand der Technik orientieren, die Daten müssen asymmetrisch verschlüsselt werden, die Rechner vom Internet getrennt sein und ein 4-Augen-Prinzip sichergestellt werden. Der Zugriff auf und die Löschung der Daten müssen revisionssicher Protokolliert werden. Um die Transparenz zu wahren muss es zudem Informationspflichten bei Datenschutzverletzungen geben. Der Betroffene muss beim Abruf der Daten informiert werden, falls kein anders lautender richterlicher Beschluss vorliegt. Um einen sicheren Rechtsschutz zu gewährleisten hat der Zugriff zudem unter einem Richtervorbehalt zu stehen und den Betroffenen muss ein Rechtsschutzverfahren möglich sein. Verletzungen des Datenschutzes und der Datensicherheit müssen wirksam sanktioniert werden.

Eine neue Vorratsdatenspeicherung?

Da das derzeitige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung komplett für nichtig erklärt wurde, geht der Gesetzgebungsprozess nun komplett von neuem los, wenn die Regierung denn überhaupt noch eine Umsetzung wünscht. Die selbsternannte Bürgerrechtspartei FDP hätte nun Gelegenheit sich als solche zu beweisen und sich dafür einzusetzen, dass die EU-Richtlinie komplett zurück genommen wird. Wir sind in Europa nicht allein: Schweden weigert sich die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen, Österreich befindet sich immer noch im Gesetzgebungsprozess und hat sich deshalb schon ein Vertragsverletzungsverfahren eingehandelt, Rumänien hatte die Vorratsdatenspeicherung bereits letztes Jahr für verfassungswidrig erklärt.

Es ist jetzt an der Zeit, die Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene zu Fall zu bringen! Leider hat es die CDU immer noch nicht verstanden und behauptet dreist, die Speicherung sei nötig „um die Bürgerinnen und Bürger wirksam vor schweren und schwersten Straftaten schützen zu können“. Ich bin es langsam leid auf solche unsinnigen Behauptungen einzugehen… Muss ich auch nicht, steht ja alles hier.

Ich hoffe doch sehr, dass die CDU mit ihren Bestrebungen die Vorratsdatenspeicherung neu aufzusetzen alleine dasteht. Nicht alles was verfassungsrechtlich machbar ist muss auch umgesetzt werden. Zudem halte ich es für enorm schwierig die umfangreichen Rahmenbedingungen des Bundesverfassungsgerichts wirksam einzuhalten. Allein die Formulierung eines entsprechenden Gesetzes dürfte eine große Hürde darstellen. Die effektive Umsetzung der Datensicherheits- und Transparenzanforderungen in der Praxis halte ich für Utopie.

Die FDP und die Lobbyisten

Es bleibt zu hoffen, dass die FDP dem Druck der CDU standhält. Mehr Sorgen als der Einfluss der CDU, macht mir jedoch die Musikindustrie, die sich über eine Hintertür des Urteils gerade besonders freut: Für die Identifkation von Nutzern hinter einer IP-Adresse hat das Gericht nämlich deutlich geringere Hürden gesetzt. Begründet wird dies damit, dass bei einer Identifikation ja keine Vorratsdaten herausgegeben würden. Der Anbieter ermittle mittels der Vorratsdaten lediglich intern die zugehörigen Bestandsdaten. Herausgegeben würden nur Bestandsdaten, d.h. Name und Adresse des Kunden. Zudem sei für diese Anfragen weder ein Richterbeschluss nötig, noch beschränke sich der Zugriff auf schwere Straftaten. Die Abfrage von Bestandsdaten zu einer IP-Adresse sei auch bei gewichtigen Ordnungswidrigkeiten erlaubt. In der Urteilsbegründung wird sogar ausdrücklich die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen genannt.

Die FDP ist nicht gerade für eine liberale Urheberrechtspolitik bekannt. Ich bin gespannt ob sie der Verlockung widersteht eine Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen einzuführen. Ich fürchte spätestens bei diesem Stichwort wird die Partei einknicken. Vielleicht wird Frau Leutheusser-Schnarrenberger dann abermals so stark sein, von ihrem Amt zurückzutreten – nützen wird uns dies jedoch wenig.

Durchatmen und weiterkämpfen

Zunächst einmal haben wir uns jedoch Luft geschaffen. Die Vorratsdatenspeicherung ist vom Tisch und diejenigen sind im Zugzwang, die sie wieder einführen möchten. Ich habe es gestern genossen erstmals wieder vorratsdatenfrei zu kommunizieren (auch wenn das vermutlich ein Trugschluss war, da es sicher noch ein paar Tage dauern wird, bis alles abgeschaltet und gelöscht ist). Das Gesetz ist in Deutschland erstmal vom Tisch. Der AK Vorrat kündigt bereits an, nun auf europäischer Ebene weiter vorzugehen. Wir haben einen wichtigen Etappensieg errungen, den wir weiter ausbauen können. Zudem gibt es noch weitere wichtige Baustellen denen wir uns widmen müssen: Spontan fallen mir ELENA, JMStV und ACTA ein. Auch das Zugangserschwerungsgesetz ist nach der Unterschrift Köhlers wieder auf der politischen Tagesordnung. Es gibt also viel zu tun. Packen wirs an!

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Irrtum der Woche: Demonstrieren bringt doch nix

Am Samstag findet die erste große „Freiheit statt Angst“-Demo für Datenschutz und Bürgerrechte in Mainz statt.

Immer wieder bekomme ich von Leuten dabei zu hören, dass demonstrieren doch eh nichts bringe. Dabei stelle ich regelmäßig fest, dass diese Leute mit einer völlig falschen Erwartungshaltung an das Thema Demonstrationen heran gehen. Natürlich werden nicht plötzlich in Berlin Gesetze neu gefasst oder fallen gelassen, weil ein paar tausend Leute auf die Straße gehen.

Das Ziel von Demonstrationen ist vielschichtiger. Demos entfalten ihre Wirkung auf mehrere Weisen. Drei davon (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) möchte ich an dieser Stelle kurz erläutern.

1) Außenwirkung

Ungeachtet dessen, dass eine Demonstration bei den betreffenden Politikern meist wenig Beachtung findet, erzeugt sie dennoch Aufmerksamkeit. Mindestens die Passanten werden davon mitbekommen. Dadurch, dass eine Demo im Vorfeld beworben wird, lenkt dies die Aufmerksamkeit schon im Vorfeld auch andernorts auf die jeweiligen Themen. Mit etwas Geschick, bekommt auch die Presse davon Wind und die Berichterstattung sorgt noch nach der Demo dafür, dass die Themen in der Öffentlichkeit beachtet werden. Summa summarum führt eine Demo also dazu, dass Menschen mit den Themen in Kontakt kommen und sich ggf. damit näher auseinandersetzen, die dies nicht von sich aus täten.

2) Innenwirkung

Ich persönlich halte die Innenwirkung sogar für wichtiger als die Außenwirkung. Durch eine Demo wird Gleichgesinnten verdeutlicht: Es gibt noch mehr Menschen, denen diese Themen wichtig sind – ich bin nicht allein. Leute die sich schon zuvor für die Themen einsetzten, werden motiviert und in ihrem Handeln gestärkt. Gleichzeitig bietet eine Demo sehr gute Möglichkeiten neue Kontakte zu knüpfen, alte Kontakte aufrecht zu erhalten und sich zu vernetzen. Regelmäßige Demos sind Motor und Antrieb einer lebendigen politischen Bewegung.

3) Demos als Teil eines großen Ganzen

Weiterhin dürfen Demonstrationen nicht isoliert betrachtet werden. Sie sind Teil eines „größeren Ganzen“. Die Wirkung von Demonstrationen allein ist in der Tat beschränkt, jedoch entfalten sie in Kombination mit weiterem politischen Engagement ihr volles Potential. Die „Freiheit statt Angst“ Demos zum Beispiel sind Ausdrucksform einer ganzen Bürgerrechtsbewegung. Dahinter steht viel mehr, als ein paar Leute die ab und an auf die Straße gehen. Eine Demo ist quasi die Manifestation dieser Bewegung. Einer Bewegung, die aktiv Bürgerlobbyismus betreibt, die öffentliche Debatte anheizt und viele weitere politische Aktionen und Maßnahmen eingeleitet hat, nicht zuletzt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten: Die Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung. Demonstrationen liefern einen Beitrag um dieser Bewegung Ausdruck zu verleihen, sie sind wichtig als Referenz und Argumentationgrundlage. Demonstrationen liefern damit einen wichtigen Beitrag, mit den jeweiligen Themen Gehör zu finden. Es mag ein langer, mühsamer Weg sein – aber es funktioniert.

Deshalb freue ich mich über jeden, der am Samstag an der Demonstration „Freiheit statt Angst“ in Mainz teilnimmt. Gehe für das, was dir wichtig ist, auch mal auf die Straße!

Über weitere Gründe, warum Demonstrationen wichtig sind, freue ich mich in den Kommentaren.