Überwachungsdruck am lebenden Subjekt erprobt

Videoüberwachung/video surveillance Mathildenh...
Image by springfeld via Flickr

Ein von Datenschützern und Bürgerrechtlern oft angeführtes Argument gegen Überwachungsmaßnahmen ist der durch diese entstehende Beobachtungs- oder Überwachungsdruck. Menschen die unter Beobachtung stehen oder auch nur glauben, dass sie überwacht werden, passen ihr Verhalten an. Das kann soweit gehen, dass sie von ihren Grundrechten nicht oder nicht in vollem Maße Gebrauch machen. Der Überwachungsdruck hemmt die freie Entfaltung der Persönlichkeit, aus Angst vor den Folgen non-konformen Verhaltens.

Dieses theoretische Konstrukt konnte auf der diesjährigen CeBit live erprobt werden. Am Stand eines Herstellers von Videoüberwachungsanlagen entstand spontan das im Folgenden beschriebene Experiment. Der Hersteller hatte eine moderne Überwachungskamera zu Demonstrationszwecken aufgebaut. Die Kamera war an einer Ecke des Standes, leicht über Kopfhöhe aufgebaut. Auf Augenhöhe befand sich unter der Kamera ein Bildschirm der das von ihr erfasste Bild anzeigte. Gegenüber an der anderen Ecke des Standes befand sich das Steuerungspult für diese Kamera, ebenfalls mit Bildschirm. Die Kamera konnte damit um 360° gedreht, sowie nach oben und unten gekippt werden. Beachtlich war auch das Zoomvermögen des Geräts, mit dem man selbst Personen einige Gänge weiter noch sehr gut erfassen konnte.

Die Kamera wurde zunächst leicht nach unten gerichtet, sodass Personen die direkt vor der Kamera standen sich selbst im Bildschirm sahen. Die Personen am Steuerungspult (im Folgenden „Überwacher“ genannt) konnten von ihnen jedoch nicht wahrgenommen werden. Nach kurzer Zeit wurden die ersten Personen auf die Kamera und ihr Abbild im Monitor aufmerksam und verharrten vor der Kamera. Die Überwacher wählten dann eine dieser Personen aus (im Folgenden „Zielperson“ genannt). Im ersten Schritt wurde nun gezielt an die Zielperson heran gezoomt um deren Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dies führte in der Regel bereits zu einer ersten Verunsicherung der Zielperson. Im nächsten Schritt wurde die Kamera stets neu auf die Zielperson ausgerichtet, auch wenn diese sich nur leicht bewegte. Den Zielpersonen war nun deutlich eine innere Unruhe anzumerken, insbesondere wenn sie sich gerade mit anderen unterhielten. Dies führte in der Regel dazu, dass die Zielperson versuchte sich aus dem Sichtfeld der Kamera zu bewegen, was jedoch aufgrund der hohen Beweglichkeit des Kamerakopfes nicht ohne Weiteres gelingen konnte. Die Zielpersonen prüften nach einem Standortwechsel immer wieder die Ausrichtung der Kamera und mussten erschrocken feststellen, dass diese wieder auf sie gerichtet war. Eine Zielperson „floh“ daraufhin komplett aus der Reichweite des Standes und drehte sich während dessen mehrfach verunsichert um (Ein solches Verhalten wird bei echten Überwachungen oftmals als konspirativ und somit verdachtserhärtend betrachtet).

Interessant war auch das Verhalten der Überwacher, die regelrecht Gefallen an der Beobachtung der Zielpersonen und deren Verhalten fanden. Auch die Neugierde von anderen Besuchern wurde geweckt, die daraufhin die Kamera auch mal „ausprobieren“ wollten. Die Überwachung entfaltete geradezu eine Suchtwirkung.

Auch wenn dieses spontane Experiment wissenschaftlichen Ansprüchen sicher nicht gerecht wird, so brachte es doch einige Erkenntnisse zu Überwachten wie Überwachern zutage. Überwachungsdruck ist kein gedankliches Konstrukt, das lediglich in der Theorie existiert, sondern ein faktisches Phänomen, das in der Praxis auftritt und zu erheblichen Einschränkungen in der freien Entfaltung der Persönlichkeit führt. Die gravierenden Nachteile, die Überwachung mit sich bringt, müssen stets gegen die angeblichen Vorteile abgewogen werden.

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„Diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“

Die Vorratsdatenspeicherung war Ende 2007 der Anlass für mich, erstmals auf die Straße zu gehen. Durch sie kam ich mit Aktivisten des AK Vorrat und der Piratenpartei in Kontakt. Die Vorratsdatenspeicherung hat eine große Bürgerrechtsbewegung hervorgebracht und die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten provoziert.

Gestern wurde die Vorratsdatenspeicherung vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Alle Daten, die noch nicht an Ermittlungsbehörden weitergegeben wurden, müssen umgehend gelöscht werden. Der Provider 1&1 hat nach eigenen Angaben schon damit angefangen.

Eine Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten auf Vorrat gibt es damit in Deutschland nicht mehr. Viele Jahre haben wir dafür gekämpft. Dass das Gesetz komplett gekippt wird, habe ich zwar für möglich, aber nicht für sehr wahrscheinlich gehalten.

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, da sie geeignet ist „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann“, begründet das Verfassungsgericht. Die Umstände der Kommunikation seien ebenso schutzbedürftig wie deren Inhalt. Allerdings sei eine anlasslose Speicherung „nicht schlechthin“ mit dem Grundgesetz unvereinbar. Daher greifen die Richter die zugrunde liegende EU-Richtlinie nicht an und verweisen auch nicht an den europäischen Gerichtshof. Laut den Verfassungsrichtern sei eine verfassungskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie möglich.

Hohe Anforderungen

An die Ausgestaltung dieser Umsetzung stellen die Richter jedoch sehr hohe Anforderungen: Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren muss die Normenklarheit in Bezug auf Datensicherheit, Datenverwendung, Transparenz und Rechtsschutz gegeben sein. Datensicherheit betrifft dabei sowohl die Aufbewahrung als auch die Übermittlung und Löschung der Daten. Sicherheitsstandards müssen sich am aktuellen Stand der Technik orientieren, die Daten müssen asymmetrisch verschlüsselt werden, die Rechner vom Internet getrennt sein und ein 4-Augen-Prinzip sichergestellt werden. Der Zugriff auf und die Löschung der Daten müssen revisionssicher Protokolliert werden. Um die Transparenz zu wahren muss es zudem Informationspflichten bei Datenschutzverletzungen geben. Der Betroffene muss beim Abruf der Daten informiert werden, falls kein anders lautender richterlicher Beschluss vorliegt. Um einen sicheren Rechtsschutz zu gewährleisten hat der Zugriff zudem unter einem Richtervorbehalt zu stehen und den Betroffenen muss ein Rechtsschutzverfahren möglich sein. Verletzungen des Datenschutzes und der Datensicherheit müssen wirksam sanktioniert werden.

Eine neue Vorratsdatenspeicherung?

Da das derzeitige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung komplett für nichtig erklärt wurde, geht der Gesetzgebungsprozess nun komplett von neuem los, wenn die Regierung denn überhaupt noch eine Umsetzung wünscht. Die selbsternannte Bürgerrechtspartei FDP hätte nun Gelegenheit sich als solche zu beweisen und sich dafür einzusetzen, dass die EU-Richtlinie komplett zurück genommen wird. Wir sind in Europa nicht allein: Schweden weigert sich die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen, Österreich befindet sich immer noch im Gesetzgebungsprozess und hat sich deshalb schon ein Vertragsverletzungsverfahren eingehandelt, Rumänien hatte die Vorratsdatenspeicherung bereits letztes Jahr für verfassungswidrig erklärt.

Es ist jetzt an der Zeit, die Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene zu Fall zu bringen! Leider hat es die CDU immer noch nicht verstanden und behauptet dreist, die Speicherung sei nötig „um die Bürgerinnen und Bürger wirksam vor schweren und schwersten Straftaten schützen zu können“. Ich bin es langsam leid auf solche unsinnigen Behauptungen einzugehen… Muss ich auch nicht, steht ja alles hier.

Ich hoffe doch sehr, dass die CDU mit ihren Bestrebungen die Vorratsdatenspeicherung neu aufzusetzen alleine dasteht. Nicht alles was verfassungsrechtlich machbar ist muss auch umgesetzt werden. Zudem halte ich es für enorm schwierig die umfangreichen Rahmenbedingungen des Bundesverfassungsgerichts wirksam einzuhalten. Allein die Formulierung eines entsprechenden Gesetzes dürfte eine große Hürde darstellen. Die effektive Umsetzung der Datensicherheits- und Transparenzanforderungen in der Praxis halte ich für Utopie.

Die FDP und die Lobbyisten

Es bleibt zu hoffen, dass die FDP dem Druck der CDU standhält. Mehr Sorgen als der Einfluss der CDU, macht mir jedoch die Musikindustrie, die sich über eine Hintertür des Urteils gerade besonders freut: Für die Identifkation von Nutzern hinter einer IP-Adresse hat das Gericht nämlich deutlich geringere Hürden gesetzt. Begründet wird dies damit, dass bei einer Identifikation ja keine Vorratsdaten herausgegeben würden. Der Anbieter ermittle mittels der Vorratsdaten lediglich intern die zugehörigen Bestandsdaten. Herausgegeben würden nur Bestandsdaten, d.h. Name und Adresse des Kunden. Zudem sei für diese Anfragen weder ein Richterbeschluss nötig, noch beschränke sich der Zugriff auf schwere Straftaten. Die Abfrage von Bestandsdaten zu einer IP-Adresse sei auch bei gewichtigen Ordnungswidrigkeiten erlaubt. In der Urteilsbegründung wird sogar ausdrücklich die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen genannt.

Die FDP ist nicht gerade für eine liberale Urheberrechtspolitik bekannt. Ich bin gespannt ob sie der Verlockung widersteht eine Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen einzuführen. Ich fürchte spätestens bei diesem Stichwort wird die Partei einknicken. Vielleicht wird Frau Leutheusser-Schnarrenberger dann abermals so stark sein, von ihrem Amt zurückzutreten – nützen wird uns dies jedoch wenig.

Durchatmen und weiterkämpfen

Zunächst einmal haben wir uns jedoch Luft geschaffen. Die Vorratsdatenspeicherung ist vom Tisch und diejenigen sind im Zugzwang, die sie wieder einführen möchten. Ich habe es gestern genossen erstmals wieder vorratsdatenfrei zu kommunizieren (auch wenn das vermutlich ein Trugschluss war, da es sicher noch ein paar Tage dauern wird, bis alles abgeschaltet und gelöscht ist). Das Gesetz ist in Deutschland erstmal vom Tisch. Der AK Vorrat kündigt bereits an, nun auf europäischer Ebene weiter vorzugehen. Wir haben einen wichtigen Etappensieg errungen, den wir weiter ausbauen können. Zudem gibt es noch weitere wichtige Baustellen denen wir uns widmen müssen: Spontan fallen mir ELENA, JMStV und ACTA ein. Auch das Zugangserschwerungsgesetz ist nach der Unterschrift Köhlers wieder auf der politischen Tagesordnung. Es gibt also viel zu tun. Packen wirs an!

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