Irrtum der Woche: Vorratsdatenspeicherung dient dem Schutz der Menschenwürde

Die Vorratsdatenspeicherung und die Online-Durchsuchung dienen auch dem Schutz des Menschen, der Privatsphäre. […] Die Vorratsdatenspeicherung als europäische Vorgabe ist ein Instrument, das dem Menschenrechtsschutz dient.

behauptete am Montag Dirk Heckmann, Rechtsprofessor aus Bayern. Da bin ich ja fast schon sprachlos. Die Vorratsdatenspeicherung sei nötig um Nutzer hinter IP-Adressen aufzudecken und so z.B. Kinderpornografie wirksam verfolgen zu können, so seine Begründung.

Das hat mit Schutz der Menschenrechte natürlich überhaupt nichts zu tun, sondern bestenfalls mit dem Schutz vor Kriminalität. Die Grund- und Menschenrechte werden durch die Maßnahme nicht geschützt, sondern eingeschränkt.

Doch wie sieht es mit dem Schutz der Menschen selbst aus? Kann die Vorratsdatenspeicherung uns und unsere Kinder vor kriminellen Übergriffen schützen? Auch in diesem Punkt irrt Heckmann, denn durch die Vorratsdatenspeicherung können Straftaten bestenfalls im Nachhinein aufgeklärt werden. Allerdings ist es für Kriminelle leicht, die Datensammlung zu umgehen, indem sie zum Beispiel Anonymisierungsdienste benutzen. Die tatsächliche Aufklärungsrate ist verschwindend gering. Die Vorratsdatenspeicherung greift also unverhältnismäßig in unsere Privatssphäre ein.

Die Datenmassen die über unser Telekommunikationsverhalten gesammelt werden schützen uns nicht, sondern sind eine Gefahr. Vorhandene Daten wecken Begehrlichkeiten und sind anfällig für Missbrauch. Wir müssen vor diesem Missbrauch geschützt werden – und das gelingt nur wenn die Daten erst gar nicht gesammelt werden.

4 Gedanken zu „Irrtum der Woche: Vorratsdatenspeicherung dient dem Schutz der Menschenwürde“

  1. Das ist tatsächlich der Irrtum der Woche, hier und in vielen anderen Blogs, verbreitet durch Blogger, die sich auf eine beifallheischende Schlagzeile stürzen statt sauber zu recherchieren (wäre ja auch zu blöd, wenn man sich umsonst entrüstet hätte und das beliebte Beuteschema diesmal nicht passt;-).

    Der Irrtum: Die zitierte Aussage hat ihren Ursprung in einer Entscheidung (nein: nicht eines bayerischen Amtsgerichts, sondern) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (jawohl: für Menschenrechte). Genau dieser vertritt nämlich in einem hochaktuellen Urteil vom 2.12.2008 (kann man googeln) diese Rechtsauffassung, die der Professor der Uni Passau in seinem Redebeitrag lediglich referiert hat (und zwar zu Recht, ist der EGMR doch der Hüter der Menschenrechte!). Wenn freilich heutzutage nicht einmal mehr Wissenschaftler solche Urteile nennen und kommentieren dürfen, ohne virtuell „gesteinigt“ zu werden (nicht an diesem Ort, aber in etlichen anderen Blogs und „Communities“), dann kann es mit unserer Meinungs- und Forschungsfreiheit ja wirklich nicht gut bestellt sein. Übrigens hat selbst das BVerfG in seinen einstweiligen Anordnungen das Speichern selbst nicht unterbunden, sondern lediglich (und aus gutem Grund) die zu weitreichende Verwendung der Daten. In ähnlicher Weise hat Heckmann (ich war selbst bei der Veranstaltung) nach dem Zitat sofort auf die Notwendigkeit einer rechtsstaatlichen Begrenzung hingewiesen.

    Ich bin mal gespannt, ob einer der Blogger die Größe besitzt, den Sachverhalt richtig zu stellen. Auch Professoren haben nämlich eine Menschenwürde.

  2. @Alexander W.
    In dem Urteil kritisiert der EGMR, dass die finnische Regierung keine Gesetzesgrundlage bereit stellt um Nutzer hinter einer IP-Adresse zu ermitteln. Das ist etwas anderes als die viel weiter reichende Vorratsdatenspeicherung und hat erst recht nichts mit „Online-Durchsuchungen“ zu tun. Heckmann benutzt das Urteil dennoch als Rechtfertigung für diese Maßnahmen.

    Zur einstweiligen Anordnung des BVerfG: Die Beschränkung geht für eine einstweilige Anordnung schon ungewöhnlich weit. Ich rechne damit, dass die Speicherung im endgültigen Urteil komplett unterbunden wird. Das Problem ist nämlich nicht der Zugriff, sondern die Speicherung an sich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Daten verloren gehen, oder der Zugriff auf Bagatellfälle ausgeweitet wird.

  3. @Angelo:

    Danke für das sachliche Feedback. Waren Sie auch beim ZEIT Forum Wissenschaft oder beziehen Sie sich nur auf die Heise-Meldung? Ich habe das nämlich anders in Erinnerung. Heckmann hat nämlich gar nichts „gerechtfertigt“, schon gar nicht aus „humanitären“ Gründen (eine solche Formulierung wäre mir sofort aufgefallen, in dieser Hinsicht bin ich sensibel).

    Es ging an diesem Abend um das Thema „Vertrauen“, und da wurde Heckmann nicht müde, „vertrauensbildende Maßnahmen“ zu fordern, weil uns die Vertrauensinstanzen abhanden kommen: der Staat (da war das Beispiel der Meldedaten), die Wirtschaft (braucht man in letzter Zeit wohl kaum näher zu erörtern), aber auch die Nutzer selbst (mir fällt hier das Beispiel rottenneighbours ein): Missbrauch oder dilettantischer Umgang mit Daten findet überall statt. Ohne Vertrauen geht es aber auch nicht im Netz. Eine seiner Thesen war: Man solle sich selbst begrenzen, also nicht alles tun, was technisch geht oder Profit oder Fun bringt und dies anderen gegenüber zum Ausdruck bringen, also deren Interessen berücksichtigen (finde ich vernünftig). Vertrauen also neu aufbauen, Vertrauensräume schaffen, kein permanentes Misstrauen üben. Kategorien der digitalen Identität parallel zum realen Raum: Wer ist mein Freund, wer ein bloßer Bekannter, wer ein Fremder im Netz?

    Und dann wies er auf die Finanzkrise hin: die Banken waren lange Zeit (trotz oder wegen ihrer marktwirtschaftlichen Orientierung?) ein Hort des Vertrauens, nun ruft man den Staat. Genauso könnte es in der Sicherheitspolitik sein (ich erinnere mich daran, wie man nach der „Kofferbombe“ in Dresden fragte, warum denn keine Videoüberwachung am Gleis stattgefunden hatte). Welche Rolle kommt also dem Staat zu zwischen Freiheit und Sicherheit? Welche Rolle spielen hier VDS und OD: Der Kontext war hier also der Schutz der Privatsphäre. Und hierzu „dienen“ natürlich auch beide staatlichen Maßnahmen (wenn sich der Staat aus dem Netz heraushält, fühlen sich dort viele Kriminelle sicher, der Bürger ist aber besonders schutzbedürftig, wie auch das BVerfG sagt; es ist wie im realen Raum: Auch da werden ständig Fingerabdrücke gefunden, obwohl billigste Handschuhe dies verhindern könnten – kein Grund also auf ED-Maßnahmen zu verzichten).

    Der damit verbundene Eingriff in Grundrechte ist Mittel und nicht Zweck der Maßnahmen. Das ist doch das Dilemma: Um schwerwiegende Verbrechen aufzuklären bzw. zu verhindern (bei Dauerdelikten), greift der Staat in die Privatsphäre potentieller Täter ein (was ja auch das BVerfG ausdrücklich für zulässig hält: der Kernbereich privater Lebensgestaltung umfasst nicht das Recht auf Rechtsbruch). Das Problem ist hier die Folgenabschätzung bei ungewisser Tatsachenlage: Was ist, wenn ich beim Unbescholtenen eingreife? Und was, wenn ich beim Bescholtenen nicht eingreife? Genau hierfür gibt es die Verfahrensvorkehrungen wie Richtervorbehalt etc. Also keine Schwarz-Weiß-Lösung, sondern viele Schattierungen. Genau genommen „dienen“ die Befugnisse wirklich auch (!) dem Schutz der Privatsphäre (die schon statistisch mehr durch Private als durch den Staat bedroht wird), allerdings erreichen sie ihn nicht immer.

    Von der Menschenwürde war dann erst bzgl. der EGMR-Entscheidung (ich kannte die Entscheidung nicht, habe sie aber inzwischen gelesen) die Rede, und zwar nur zur VDS. Und nur referierend. Nach meinen Notizen hat Heckmann sich das nicht einmal zu Eigen gemacht, sondern im Gegenteil auf die Notwendigkeit rechtsstaatlicher Grenzen hingewiesen. Deswegen war ich ja so überrascht, dass man Heckmann für diese Thesen so abgewatscht hat. Wir brauchen bei diesen wichtigen Fragen eine intelligente Diskussion und kein schubladenmäßiges Professoren-Bashing. Übrigens wird sein juris-Kommentar zum Internetrecht von meinen jüngeren Kollegen gerne genutzt und hoch eingeschätzt.

    Im Ergebnis stimme ich Ihnen aber teilweise zu, auch ich habe Bedenken wegen der Verhältnismäßigkeit. Dennoch glaube ich, dass es eine typische Kompromissentscheidung in Karlsruhe geben wird, wie schon bei der OD oder beim Nichtraucherschutz. Ich glaube nicht, dass sämtliche Speicherung verboten wird. Bzgl. der IP-Adressen wäre das ja auch fatal, weil so ein faktisch rechtsfreier Raum entstünde (Ausweg deshalb vielleicht quick freeze oder so ähnlich). Die Kostenfrage (siehe VG Berlin) stellt sich dann natürlich auch noch.

    Mein Kommentar bezog sich aber weniger auf diese Details als vielmehr auf die Art und Weise der Berichterstattung bzw. Bloggerei, die m.E. sehr einseitig geführt wurde. Mir hat der Auftritt des Profs beim ZEIT Forum gut gefallen: versiert und ausgewogen. Auch beim Empfang danach stand er den Besuchern lange Rede und Antwort (der gereichte Wein war aber auch nicht schlecht;-).

  4. Ich war leider nicht selbst beim Zeit Forum und beziehe mich, wie Sie richtig bemerken, auf die Heise-Meldung. Ich gehe davon aus, dass die Redakteure richtig zitieren können und die von mir oben angeführten Aussagen tatsächlich so von Herrn Heckmann stammen. Der Behauptung, dass die VDS in irgendeiner Form Menschen schützt, oder sogar die Menschenrechte selbst, muss ich entschieden widersprechen, was ich ja auch getan und begründet habe.

    Ich freue mich aber, dass Sie als direkter Zuhörer einen detaillierteren Einblick in Heckmanns Vortrag geben konnten. Dieses Blog heißt auch deshalb „Kontroversen“, weil ich Gegenmeinungen provozieren und die öffentliche Debatte anregen möchte. Davon lebt die Demokratie.

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